Das Vorhaben aus Sicht des Lernbegleiters


Studienreferendar Heiko Thomä realisierte mit der Grundstufe der angehenden Bankkaufleute an den Kaufmännischen Schulen Dillenburg ein Unterrichtsvorhaben, das ... Stopp! Hier werden Dinge grundlegend verwechselt! Die Gruppe der Auszubildenden plante eine Unterrichtsreihe SELBST. Sie führte das Vorhaben SELBST durch und sie bewertete es auch SELBST. Die Funktion des Lehrers dieser Klasse wandelte sich im Verlauf immer stärker in Richtung eines Moderators und Lernberaters, der seinen Schülern zutraute, großzügig eingeräumte Freiräume eigenständig wahrzunehmen. Lediglich die Organisation der Rahmenbedingungen lag noch in seiner Hand.

Doch zunächst ein chronologischer Bericht aus Sicht des Lehrers:

Nachdem wir den Stoff des Lernfeldes "Konten führen" weitestgehend abgeschlossen hatten, überlegte ich mir, welche Herausforderungen ich den Jugendlichen angesichts ihrer besonderen Leistungsstärke noch stellen könnte. Neben reinem Fachwissen erfordert die Berufswelt von heute Kompetenzen, die eher methodischer und kommunikativer Natur sind. Doch welche Kompetenzen sind für diese Gruppe von Bedeutung? Dieses Dilemma löste ich, indem ich die Klasse darüber selbst entscheiden ließ.

Es kristallisierte sich bei den Jugendlichen das Bedürfnis nach den Themen Rhetorik, Kommunikation mit Kunden, Streß- und Konfliktbewältigung sowie Präsentation heraus. Ich unterbreitete der Klasse den Vorschlag, einmal eine besondere Erfahrung wahrzunehmen, nämlich gruppenweise einen Themenkomplex eigenständig zu planen. Die Inhalte könnten dann im Rahmen einer gemeinsamen externen Veranstaltung in einer Jugendherberge durchgeführt und anschließend selbst bewertet werden. Nach anfänglichem Zögern signalisierte mir die Gruppe Zustimmung. Anhand von diversen Materialien wurden in einigen Unterrichtsstunden und freiwilliger (!) Heimarbeit eigenständig didaktisch hervorragend strukturierte Einheiten entwickelt. Bei Bedarf stand ich den Teams während der Vorbereitung beratend zur Seite. Doch nur wenig Hilfestellung und Motivation war nötig, denn die Schüler schöpften ihr enormes Potential an Ideen und Kreativität aus.

Nachdem der Rahmen abgesteckt war, die Gruppen ihre geplanten Inhalte vorgestellt und sich auf eine zeitliche Abfolge geeinigt hatten, versammelten wir uns für 3 Tage in der Jugendherberge "Freusburg" bei Kirchen an der Sieg.

Das Seminar begann am Mittwoch nach einer kurzen Einstimmung auf das Vorhaben zunächst mit kleinen technischen Verzögerungen. Die Gruppe "Präsentation" hatte hardwaretechnisch alles Verfügbare angeliefert. Sie wollte aus den mitgebrachten PCs ein Netzwerk konzipieren und für Präsentationszwecke einen Videobeamer integrieren. Auftretende Computer-Probleme waren bald beseitigt und die Gruppe "Rhetorik" konnte mit ihrer Sequenz beginnen.

Neben Stegreifreden, die der Rest der Teilnehmer in Gruppen vorbereitete und vortrug, wartete die Rhetorik-Gruppe mit diversen Übungen zu Gestik, Ausdruck und der Fehlervermeidung mit informativen Vorträgen zum Thema auf. Das Highlight bildete die Ballon-Übung, bei der die Teilnehmer verschiedene Berufsgruppen vertraten und sich vorstellten, in einem überladenen Ballon zu sitzen. Es galt, sich gegeneinander argumentativ durchzusetzen, warum gerade der eigene Beruf wichtig für die Gesellschaft ist und dem eigenen Absprung aus dem Ballon entgegensteht.

Vor dem Abendessen besprach eine Teilgruppe des Teams "Streß- und Konfliktbewältigung" die Bedeutung von Sport für den seelischen und körperlichen Ausgleich. Die Botschaft kam an, denn am abendlichen Volleyball und Indiaca auf dem angrenzenden Sportplatz erkannte ich bei vielen Teilnehmern eine gute sportliche Leistungsbereitschaft.

Nach der sportlichen Einheit kam am Abend und in der Nacht auch der informelle Teil nicht zu kurz. Dank des Leiters der Jugendherberge, der einen geringfügig erhöhten Lärmpegel, vor allem bedingt durch einen ausgeprägten Gesprächsbedarf, großzügig tolerierte.

Trotz des verringerten Schlafpensums einiger Teilnehmer zeigte die Lerngruppe am nächsten Morgen keinerlei Ausfallerscheinungen. Die Gruppe "Kommunikation mit Kunden" hatte für Donnerstag ein Verkaufstraining auf dem Plan, in dem Beratungsgespräche auf der Basis spezifischer Kundenprofile durchgeführt und analysiert wurden. Gemeinsam mit der Restgruppe entwickelte das Team wertvolle Verbesserungsvorschläge, die im Bankalltag förderlich sind. Auch eine kritische Verbrauchersicht kam in den Gesprächen nicht zu kurz. In meinen Augen zeigte sich auch, daß sich ein großer Teil der Jugendlichen mit ihrem Ausbildungsberuf identifiziert.

Vor dem Abendessen versuchte nochmals die Gruppe "Streß- und Konfliktbewältigung" bei den Teilnehmern neue Energien zu wecken. Diesmal mit Hilfe einer freiwilligen Übung aus dem Autogenen Training, worüber vor der Durchführung zunächst ausführlich aufgeklärt wurde.

Am Nachmittag führte die Gruppe "Präsentation" grundlegend in einige für Präsentationen geeignete Programme ein, die sie mit Hilfe des Beamers vorführte. Aus der Gruppe stammte die Idee, das "Projekt Freusburg" mit einer eigenen Homepage zu krönen, zu deren Aufbau alle zur Mitarbeit eingeladen wurden. Gruppenweise erarbeiteten die Jugendlichen unter anderem eine Überzeugungspräsentation, mit dem Ziel, einem Vorstandsteam die Vorzüge eines Phantasieproduktes näherzubringen. Angesichts von Konzentrationsmängeln, die im Laufe des Nachmittags nahezu flächendeckend auftraten, parodierte ein bereits schauspielerfahrener Auszubildender gekonnt eine bekannte Person. Dafür erhielt er tosenden Beifall.

Die Entspannungsmethode am Donnerstag bestand diesmal nicht aus Sport, sondern Grillen bei Koteletts und diversen Getränken stand auf dem Programm.

Für Freitag, den letzten Veranstaltungstag, hatte sich die zweite Teilgruppe des Teams Streß- und Konfliktbewältigung das Thema Streß und Zeitmanagement vorgenommen. Die Verantwortlichen entlarvten Zeitkiller, die effizientes Arbeiten erschweren und streßfördernd sind. Das Setzen von Prioritäten am Beispiel eigener Ziele wurde mit den Teilnehmern gemeinsam erarbeitet, ebenso wurde ein System für eine individuelle Tagesplanung vorgestellt.

Zusammenfassend möchte ich als verantwortlicher Lehrer (oder vielleicht besser: Lernberater, Moderator) eine pädagogische Wertung vornehmen: Ein hohes Maß an Engagement und Initiative, sowohl im Vorfeld, als auch während der eigentlichen Durchführung, war Ausdruck einer Motivation, welche ich in dieser Form im bisherigen Unterricht noch nicht erlebt hatte. Die Jugendlichen waren von innen heraus motiviert, denn die Aktion erfolgte ohne jeglichen Notendruck in einem bewertungsfreien Raum. Mir drängte sich der Eindruck auf, daß ich möglicherweise in den fachorientierten Unterrichtsstunden der Vormonate die bei den Jugendlichen vorhandenen Fähigkeiten nicht voll ausgeschöpft hatte. Das Vorhaben zeigt, daß die Lerngruppe ein Übermaß an Initiative zu entwickeln bereit ist, wenn sie stärker in die Planung und Durchführung eingebunden ist oder - wie hier geschehen - diese Funktionen sogar eigenständig übernimmt. Sicherlich waren diese drei Tage mitsamt der umfangreichen Vorbereitung für das Selbstbewußtsein der Jugendlichen in hohem Maße förderlich. Kompetenzen, welche losgelöst von rein bankfachlichen Inhalten beruflich und privat bedeutungsvoll sind, wurden gefördert.

Abschließend noch eine kurze didaktische Fundierung des Geschehens: Berufliche Handlungskompetenz ist als oberstes Ziel im Rahmenlehrplan und in anderen geltenden Rechtsgrundlagen für die Ausbildung fixiert. Neben Fachkompetenz zählt dazu vor allem Sozial- und Methodenkompetenz. Letztere stand im Mittelpunkt des Vorhabens, doch auch die erst genannten fanden sich wieder. Das Prinzip, welches Schülern maximale Freiräume zugesteht, wird als "Selbststeuerung" bezeichnet. Methodische Umsetzungen dieses Prinzips sind in einigen Varianten möglich. Ich einigte mich mit den Schülern auf die Methode "Lernen durch Lehren", dessen zentraler Gegenstand die Übertragung von Lehrfunktionen auf Schüler ist, während der Lehrer moderierend und beratend in den Hintergrund tritt.

Danken möchte ich natürlich an erster Stelle nochmals den Mitgliedern der Klasse selbst, die mir vielfältigen Stoff für meine Hausarbeit im Rahmen des zweiten Staatsexamens lieferten. Besonderer Dank geht an Daniel Seibert und Markus Thielmann, welche die Idee einer eigenen Homepage vorbrachten und technisch versiert umsetzen, sowie an die Ausbildungsverantwortlichen der Bezirkssparkasse Dillenburg, der Volksbank Dill und der Volksbank Herborn-Eschenburg, welche durch die Freistellung ihrer Auszubildenden das Vorhaben erst ermöglicht haben.
 
 

  
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Last update: 99/08/25