Dokument im Word-Format (wiesinger.doc) oder Adobe Acrobat-Format (wiesinger.pdf)


Iris Wiesinger

LdL im Deutschunterricht der Grundschule

 

Im Rahmen des Rechtschreibunterrichts wurde in einer 4. Klasse ein erster Versuch gestartet im Sinne des LdL zu unterrichten.

  

Zur Klassensituation:

Die 19 Schülerinnen und Schüler dieser 4. Grundschulklasse weisen ein normal strukturiertes Leistungsbild auf. Seit diesem Schuljahr wird im Rechtschreibunterricht nicht mehr mit Nachschriften gearbeitet, sondern mit einer Rechtschreibmethode, die ihren Ursprung in Christine Manns Rechtschreibkonzept hat: Es wird wöchentlich ein Übungsdiktat diktiert, anschließend fixiert jeder Schüler die von ihm falsch geschriebenen Wörter - eingeteilt nach Mitsprechwörter, Nachdenkwörter und Merkwörter - auf Karteikarten. Diese Wörter werden nun während der darauffolgenden Woche (überwiegend im Rahmen der Hausaufgabe) geübt. Dazu liegen den Schülern auf vier Arbeitsblättern (eingeteilt nach den oben genannten Kategorien) zahlreiche Übungen vor.

  

Zum methodischen Vorgehen:

Nachdem die Schüler schon mehrere Monate mit diesem Rechtschreibsystem gearbeitet und auch die jeweiligen Vor- und Nachteile reflektiert hatten, interessierten Sie sich zunehmend für das Zustandekommen der unterschiedlichen Übungsdiktate und baten, auch einmal selbst Diktate entwerfen zu dürfen.

Erfreut über diese Anregung fasste ich daraufhin noch ungeübte Wörter aus dem Grundwortschatz in kleinen Listen mit 5-6 Lernwörtern zusammen und gab den Schülern die Möglichkeit in Gruppen an der Erstellung eines Textes zu arbeiten. Zusätzlich lag noch eine Folie mit den übrigen noch nicht geübten Lernwörtern auf.

Die Schüler mussten also im Minimum ihre vorgegebenen Lernwörter integrieren und durften zusätzlich Wörter aus der Liste entnehmen. Dabei arbeiteten die Gruppen nun sehr unterschiedlich: Manche schrieben sofort, andere überlegten länger. Nachdem eine Gruppe damit begonnen hatte, zusätzliche Lernwörter in ihren Text einzubauen, motivierte dies auch die vier anderen Gruppen und es wurden so in den Texten jeweils zwischen 10 und 17 Lernwörter untergebracht mit Textlänge zwischen 60 und 135 Wörtern. Dabei bat die Gruppe mit den 135 Wörter langen Diktat um die Erlaubnis, zu Hause in gemeinsamer Arbeit eine Fortsetzung schreiben zu dürfen. (Ein Vorsatz, der aber noch nicht in die Tat umgesetzt wurde.)

Die so fertig gestellten Diktatvorlagen wurden von mir korrigiert und anschließend von den Schülern noch einmal in Reinschrift fixiert. Eine Gruppe tippte den Text am Computer, die übrigen bevorzugten ihre Handschrift.

In der darauffolgenden Lesestunde wurde nun die Betonung eines vorzulesenden Textes in den Vordergrund gestellt. Nachdem eine Schülerin versucht hatte wenige Zeilen zu diktieren (und dabei die grundsätzlichen Regeln zum verständlichen Diktieren natürlicherweise nicht befolgte), wurde schnell der Unterschied in der Betonung eines normalen Textes im Gegensatz zu einem Diktat deutlich. Es wurde verbalisiert, dass bei einem Diktat nicht nur jedes Wort betont werden muss, sondern auch die Satzzeichen zu versprachlichen sind. Zusätzlich kommen die notwendigen Wiederholungen der Sätze und Teilsätze dazu.

Nun besprach jede Gruppe, welche Kinder (höchstens zwei, um den Unterrichtsablauf nicht zu unruhig zu gestalten) jeweils den Text nach einander diktieren sollten. Diese Schüler bereiteten sich dann zu Hause in der Woche vor der entsprechenden Rechtschreibstunde auf „ihr Diktat“ vor. Hierbei übten die Schüler unterschiedlich oft: Einige lasen sich den Text nur noch einmal leise durch, andere übten mehrmals laut.

So gestaltete sich das Diktieren der Texte relativ unproblematisch: Einmal protestierte die ganze Klasse, weil eine Schülerin zu schnell vorlas, ein weiteres Mal musste ich eingreifen, da die Satzzeichen vergessen worden waren.

War das Diktat geschrieben, meldeten die Schüler ihren Mitschülern positive und negative Kritik zurück. Die Geschwindigkeit wurde gelobt oder gerügt, die Anzahl der Wiederholungen von Satzteilen noch einmal aufgegriffen.

Beim Korrigieren der Texte stellte sich schließlich heraus, dass manche Schüler ihren eigenen Text mit deutlich weniger Fehler (im Vergleich zu ihren Mitschülern) schrieben, manche Schülerinnen hatten jedoch – offensichtlich aufgrund der Aufregung zuvor einen Teil selbst einmal diktiert zu haben – mehr Fehler als üblich.

   

Einige Anmerkungen im Sinne einer kurzen Reflexion:

Abgesehen davon, dass die Schüler außerordentlich engagiert mitarbeiteten und sich über diese Sequenz stets sehr positiv äußerten, stellt sich für mich natürlich die Frage nach dem pädagogischen Gewinn dieser Arbeit.

Problematisch scheint mir mit Bezug auf eine langfristige Umgestaltung des Rechtschreibunterrichts nur eines zu sein: Der Anspruch der von den Schülern erstellten Diktate ist – trotz des Einbindens der Lernwörter – geringer als bei meinen sonstigen Texten. Insgesamt wurden weniger Fehler gemacht als üblich, was aber andererseits vor allem rechtschreibschwächere Schüler motivierte.

Wenn diese Sequenz auch ihren Schwerpunkt im Rechtschreibunterricht hatte, so berührte sie doch auch andere Bereiche des Deutschunterrichts.

Betrachtet man den Teilbereich Weiterführendes Lesen, so lernten die Schüler einiges über Art und Sinn von Betonungen und ihren bewussten Einsatz. Außerdem wurde – wenn vielleicht auch nur kurzzeitig – das Nuscheln einzelner einmal auf eine originellere Weise bekämpft.

Mit Blick auf den Schriftlichen Sprachgebrauch könnte man eine gewisse Erweiterung des Schülerhorizontes annehmen: So musste ja von jeder Gruppe ein sinnvoller Text unter Einbezug vorgegebener Wörter erstellt werden.

Meiner Meinung nach lag der Gewinn dieser Sequenz jedoch vor allem im Bereich von Motivation und sozialem Lernen. Der allzu bekannte Ablauf des Rechtschreibunterrichts wurde durch den Schülereinsatz erweitert und wieder neu belebt. Die Diktate wurden schon deshalb mit wesentlich größeren Interesse zur Kenntnis genommen, da nun die Autoren Mitschüler waren.

Zusätzlich lernten die Schüler das System ihres Rechtschreibunterrichts von einer neuen Perspektive kennen und betrachteten ihre Lernwörter wieder mit neuer Aufnahmebereitschaft.

Schließlich bewirkte die Sequenz auch eine gewisse Thematisierung des Unterrichts an sich, was im Sinne offenerer und flexiblerer Unterrichtsformen ja nur von Gewinn sein kann.

 

Was meinen Sie zu diesen Versuch? Ich freue mich über Anregungen via

E-Mail I. Wiesinger