Herrn                                                                                                    XY, den 10.07.1996
Dr. Jean-Pol Martin
Universität Eichstätt, UA.Zi.240
85071 Eichstätt

Sehr geehrter Herr Martin,

erst heute finde ich Zeit. Ihnen für Ihren ausführlichen Brief vom 1. Mai zu danken. Inzwischen habe ich weitere LdL - Erfahrungen gesammelt. Meine 7. Klasse hat sich sehr schnell an die neue Arbeitsform gewöhnt und findet sie wesentlich angenehmer als den Frontalunterricht. Nachdem manche leistungsschwächere Schüler anfangs etwas Anlaufzeit benötigten, um vor die Klasse zu treten, ist es mittlerweile so, daß gerade sie viel mehr Bereitschaft entwickelt haben, sich freiwillig zu äußern und Aufgaben zu übernehmen.

Auch am Gespräch im Unterricht beteiligen sich nun Schüler, die vorher eher zurückhaltend waren, spontaner und regelmäßiger. und sie entwickeln viel mehr Selbstvertrauen im Gebrauch der Fremdsprache. Sie stellen auch fest. daß die schriftliche Leistung, die ja leider das Notenbild dominiert, nicht unbedingt mit mündlichen Fertigkeiten zu tun hat. Diese Entwicklung finde ich ganz besonders erfreulich, vor allem, weil nun auch Schüler von sich aus auf mich zukommen und sich wünschen, eine Unterrichtssequenz übernehmen zu dürfen. Alle Schüler benutzten die Fremdsprache ohne Scheu und haben schnell gelernt, sich gegenseitig zu korrigieren - und allmählich setzen sich tatsächlich auch die besseren Umgangsformen durch.

Im Grammatikunterricht setze ich mich einfach in die Klasse und wenn etwas ganz schiefläuft, melde ich mich und versuche, durch einen „Unterrichtsbeitrag“ wieder auf den richtigen Weg zurückzuführen. Das sieht nicht so sehr wie eine Intervention des Lehrers aus und macht auch den Schülern Spaß. Ich finde, man kann mehr Gemeinsamkeit erreichen und der Klasse das Gefühl geben. daß wir alle miteinander etwas erarbeiten wollen - psychologisch gesehen ist das wohl anregender, als ständig einen „dominierenden“ und dozierenden Lehrer vorne an der Tafel zu sehen.

Schließlich ist es auch nicht uninteressant, den Unterricht einmal aus der Schülerperspektive zu erleben. Wir haben uns angewöhnt, am Ende jeder Stunde eine kleine ,,Manöverkritik" zu betreiben, in der jeder frei seine Meinung zu der Stunde sagen darf und vorschlagen kann, was man noch verbessern kann. Es ist erstaunlich, wie kritisch die Schüler mitdenken, wenn sie sich gefordert fühlen. Was mich etwas überrascht und amüsiert, ist, daß man am ,,Unterricht" der Schüler oftmals seine eigenen Ausdrucksweisen und Methoden wiedererkennt, die sie offensichtlich unbewußt übernommen haben.

Probleme ergeben sich gelegentlich noch bei der Wortschatzerarbeitung, wobei wir aber auch auf diesem Gebiet bereits Fortschritte gemacht haben.

Zusammenfassend muß ich feststellen, daß LdL wirklich frischen Wind in den Unterricht gebracht hat, daß wir relativ kurzfristig bei einem ,,normalen" Arbeitstempo angelangt sind und daß die Stunden abwechslungsreicher, oft auch humorvoller und auf jeden Fall kommunikativer verlaufen als bisher.

Da ich, bedingt durch FortbildungsveranstaItungen, in letzter Zeit mehrere Male unterwegs war, mußte ich meine Klasse in dieser Zeit mit Arbeitsaufträgen „versorgen“ und ich hatte das Gefühl, LdL trägt auch dazu bei, daß Schüler generell eigenständiger denken und arbeiten lernen - in meiner Abwesenheit haben sie sich immerhin zwei ganze Lektionen erarbeitet, und zwar so gut, daß ich eigentlich nichts mehr hinzuzufügen hatte.

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Ihre Unterlagen zum Oberstufenunterricht konnte ich übrigens bereits mehrfach in meinem Leistungskurs einsetzen, den ich allmählich auch davon überzeuge, daß LdL mehr bringt, so daß wir nun beschlossen haben, diese Methode im nächsten Schuljahr verstärkt anzuwenden.

Inzwischen hat sich auch unser Schulleiter einmal aus Neugier eine LdL-Stunde in meiner 7.Klasse angesehen, und ich glaube, sie hat ihm ganz gut gefallen, da die Schüler - obwohl sie wegen seiner Anwesenheit ein wenig befangen waren - fast ohne meine Intervention miteinander gearbeitet haben und eine volles Pensum geleistet haben.

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In meinem ersten Brief hatte ich Ihnen geschrieben, daß meine Schüler und ich mit LdL sicher mehr Spaß am Unterricht haben würden. Diese Aussage kann ich nun, einige Monate später, nur bestätigen (übrigens kommen auch sehr positive Reaktionen aus Elternkreisen!). (...)

Mit herzlichen Grüßen