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Waltraud Beck

LdL im Lateinunterricht der Lektürephase

In den letzten Jahren, vor allem aber seit der für Deutschland niederschmetternden TIMMS-Studie, erscheinen immer wieder Aufsätze darüber, die den Unterricht an deutschen Schulen kritisch unter die Lupe nehmen, Defizite aufdecken und Vorstellungen für ein effektiveres Schulwesen entwickeln. So wird in einem Artikel in der Zeitschrift Profil („Wann ist ein Lehrer erfolgreich?", April 1999, S. 14 - 17), verfasst von Martina Gast, beklagt, dass der Unterricht zu leistungsbezogen und zu wenig lernerorientiert sei. In eben dieser Veröffentlichung werden 10 Thesen unter der Überschrift „Ansprüche an das Lernen in der heutigen Zeit" von Prof. Dr. Weinert abgedruckt, deren einige meiner Ansicht nach gerade mit der Methode LdL ( = Lernen durch Lehren) gut zu verwirklichen sind, und zwar:

  • der Unterricht soll lehrergesteuert, aber schülerzentriert sein

  • aktives und konstruktives Lernen muss passives u. rezeptives Lernen ersetzen

  • selbständige Lernkompetenzen sind von größter Wichtigkeit

  • jede/r Schüler/in kann seine eigene Tüchtigkeit einschätzen lernen

  • das Selbstvertrauen zu ihren eigenen Fähigkeiten soll verbessert und

  • die Lernmotivation gefördert werden.

In diesem Aufsatz sollen verschiedene Möglichkeiten von LdL im Lateinunterricht der Lektürephase vorgestellt werden, die von mir erprobt worden und den oben angeführten Lernzielen gerecht geworden sind. Für die theoretische Begründung von LdL im Lateinunterricht und ihrer Umsetzung in der Lehrbuchphase verweise ich auf den grundlegenden Artikel von Renate Gegner im „Altsprachlichen Unterricht" 3+4 / 1994, S. 15-31 und in „Auxilia" 44, S. 22-34.

Grammatikwiederholungen, die zu jeder Zeit wichtig sind, können sehr gut in die Verantwortung der Schüler/innen gelegt werden, sei es, dass man sie in den Lektüreunterricht einschiebt, sei es, dass man für eine umfangreichere Wiederholung mehrere Stunden vorsehen will. Da am Ende meiner 10. Klasse der Wunsch nach Grammatikwiederholungen geäußert worden war, habe ich zu Beginn des neuen Schuljahres die Schüler/innen gefragt, welche Teile der Syntax noch einmal geübt werden sollten. Genannt wurden Partizipialkonstruktionen, Gerundium und Gerundiv, Kasuslehre (vor allem Ablativ), aber auch eine summarische Repetition der Konjugationen und der Steigerungen. Ich verteilte - auf Freiwilligenbasis - die einzelnen Gebiete auf mehrere Gruppen zu je vier Schüler/innen und stellte Grammatiken und Übungsbücher (für Beispielsätze) zur Verfügung. Vernünftigerweise wählten die Schüler jeweils die Grammatikkapitel, in denen sie sich unsicher fühlten. Da so noch nicht die ganze Klasse mit Arbeit versorgt war - es waren immerhin 29 Schüler -, ließ ich die anderen, ebenfalls in Gruppen, unser nächstes Thema, nämlich Ovids Metamorphosen, vorbereiten. Eine Gruppe erarbeitete nach einem Geschichtsbuch und nach der Einleitung in einer Ovidausgabe das Thema „Ovid in der Augusteischen Zeit", eine zweite befasste sich mit der Biographie und den Werken des Dichters und eine dritte bereitete den Versbau vor. Während der Ausarbeitung der Themen hatte ich im Wesentlichen beratende und helfende Funktion. Der zeitliche Rahmen für die Vorbereitung (4 Wochen) wurde anfangs festgelegt und musste unbedingt eingehalten werden wegen eines Klassenarbeitstermins, d.h. die Schüler/innen mussten auch zu Hause an der Fertigstellung weiterarbeiten. Die Behandlung der einzelnen Gebiete erfolgte dann in neu zusammengesetzten Gruppen, also nach der Methode des Gruppenpuzzle: es saßen je ein/e „Spezialist/in" für Gerundium/Gerundiv, für die Ablativfunktionen, für die Partizipial-konstruktionen usw. zusammen und hatten sich gegenseitig ihr Fachgebiet zu erklären und die vorbereiteten Übungen zu leiten. Die Gruppen arbeiteten allerdings unterschiedlich schnell, und manche waren mit ihrem Pensum schon fertig, während andere viel länger brauchten. In solch einem Fall kann man die Schnelleren als Hilfe für die Langsameren einsetzen oder ihnen andere Vorbereitungen auftragen. Ein Problem ergab sich in dieser Klasse durch eine hohe Fehlquote mehrerer Schüler; dazu kamen noch ausgefallene Stunden, so dass das Verfahren des Gruppenpuzzle nicht ganz durchgezogen werden konnte. Einige Teile mussten der Zeitersparnis wegen von den Schülergruppen vor der Klasse präsentiert werden. Dies funktionierte recht gut; die Schüler/innen agierten völlig selbstständig, sorgten für den nötigen Tafelanschrieb, so dass ich überhaupt nicht einzugreifen brauchte.

Besonders die Ausführungen zu Ovid und seiner Zeit stellten sie sehr gut und anschaulich dar, schrieben Wichtiges an die Tafel und gaben Anweisungen, was die Klassenkameraden in ihre Hefte aufzunehmen hätten. Einige Schülerinnen entwickelten geradezu ein erstaunliches pädagogisches Talent, woran ich meine helle Freude hatte.

Die erste Klassenarbeit setzte sich zusammen aus einem Text, in dem die Erscheinungen der wiederholten Grammatikparagraphen gehäuft vorkamen, also Ablative, die zu bestimmen waren, Gerundia, Gerundiva und Partizipialkonstruktionen, und in einem zweiten Teil aus Fragen zur Augusteischen Zeit und zu Ovid.

Bestimmte Interpretationsaufgaben lassen sich ebenfalls sehr gut an die Schüler delegieren. In der roten Klettausgabe von Ovids Metamorphosen sind im Arbeitskommentar zu jeder Metamorphose eine Reihe von Fragen abgedruckt, die ich auf mehrere Schülergruppen verteilte. Der Lehrer muss die Ergebnisse der Interpretation korrigieren und gegebenenfalls ergänzen. In ähnlicher Weise bin ich mit Catull-Gedichten in einer anderen 11. Klasse verfahren. Die einzelnen Schülergruppen treten nach Abschluss ihrer Arbeit vor die Klasse und behandeln mit ihren Kameraden die Fragen. Manche Schüler sind durchaus in der Lage, auch dann, wenn keine Antwort aus der Klasse kommt, weitere Fragen zu stellen, die leichter an die Lösung heranführen.

Zu „Europa, Ikarus und Opheus" gibt es in der Reihe „Antike und Gegenwart" im Buchner-Verlag eine sehr schöne Ausgabe mit Exkursen in die Rezeptionsgeschichte mit vielen farbigen Abbildungen., z.B.: Pieter Bruegel d.’. „Landschaft mit dem Sturz des Ikarus" (um 1588), Hans Erni „Otto Lilienthal im Vogelgewand des Ikarus" (1941), Franz Radzivill „Der Sturz des Ikarus" (1960) u.a. bis hin zu dem abstrakten „Ikarus" (1980) von Armstrong. Von diesen ließ ich mir Farbfolien anfertigen und sich jeweils zwei bis drei Schüler/innen mit einem Künstler und dessen Interpretation Ovids auseinandersetzen. Da dies als Hausaufgabe angefertigt werden musste, gab ich ihnen dazu die Ausführungen im Lehrerkommentar als Hilfe mit. Es waren immer mehr Freiwilligenmeldungen da, als ich berücksichtigen konnte, und die Klasse beteiligte sich gut beim Unterricht der Schülerlehrer, zum Teil sogar besser als im herkömmlichen Frontalunterricht.

Bei Prosatexten, z.B. Caesar und Cicero, bin ich etwas anders verfahren. Die rote Klett-Ausgabe von Caesar bringt im Arbeitsheft zu jedem Kapitel einige Fragen. In Ciceros „Verres" in der Reihe „Antike und Gegenwart" im Buchner-Verlag dagegen stehen solche Fragen am Schluss einer Einheit. Die Zahl der Fragen reicht allerdings nicht aus, um sie auf eine große Klasse zu verteilen. Ich habe eine immer wechselnde Gruppe von drei oder vier Schülern bestimmt, die die Bearbeitung übernahm, während die anderen - meist in Gruppenarbeit - weiterübersetzten. Dieses Verfahren habe ich schon in mehreren Klassen erprobt, und es hat sich jedes Mal bewährt. Manchmal habe ich zusätzlich, je nach dem Schwierigkeitsgrad der Fragen, entweder sofort oder erst, nachdem die Schüler/innen schon einige Ergebnisse vorlegen konnten, ihnen als Hilfe den Lehrerkommentar ausgehändigt. Ihr Interpretationsunterricht ging von den vorgegebenen Fragen aus. Manchmal fertigten sie Folien an, z.B. um die kunstvollen rhetorischen Stilmittel bei Cicero deutlich zu machen.

Als positiv zu verzeichnen bei diesem Verfahren ist auch, dass manche Schüler/innen, die, aus welchen Gründen auch immer, Schwierigkeiten mit der lateinischen Sprache haben, sich solcher Aufgaben recht gut entledigen und zum Teil ein erstaunliches Talent vor der Klasse entwickeln, also den „Glauben an sich selbst", der in dem oben erwähnten Aufsatz „Ansprüche an das Lernen in der heutigen Zeit" gefordert wird, auf diese Weise verbessern können. Selbst einige Schülerinnen, die am Anfang der 10. Klasse, als ich sie neu übernahm, mir ihr Missfallen bekundeten, Lehrer zu spielen, freundeten sich im Lauf der Zeit mit der Methode an und meldeten sich in der 11. Klasse sogar als erste bei den anspruchsvolleren Sonderaufgaben.

In der Phase der reinen Übersetzung empfiehlt sich in einer großen Klasse meistens die Gruppenarbeit, da - nach meiner Erfahrung wenigstens -, im Frontalunterricht nur wenige von denen, die gerade „nicht dran sind", mitdenken und lediglich die fertige Lösung abwarten, um sie dann „schwarz auf weiß getrost nach Hause zu tragen". Wer mit wem zusammenarbeiten will, lasse ich in der Regel die Schüler selbst entscheiden mit der Einschränkung, dass in jeder Gruppe möglichst ein guter Schüler bzw. eine gute Schülerin sitzt. Ich bringe einige Lexika mit, damit bei der Gelegenheit auch deren Benutzung eingeübt wird. Während der Stunde habe ich immer vollauf damit zu tun, den Gruppen zu helfen. Wenn gelegentlich die meisten mit dem Text gut zurechtkommen, widme ich mich der bzw. den schwächsten Gruppen. Am Anfang der folgenden Stunde vergleichen wir im Plenum das zuvor in Gruppen Bearbeitete plus der Hausaufgabe und klären grammatische Fragen. Man kann durchaus Schüler/innen diesen Teil übertragen, muss dann allerdings vorher die Übersetzung korrigiert haben. Manche, aber längst nicht alle, entledigen sich dieser Aufgabe recht gut.

Die verschiedenen Methoden der Satzanalyse (Einrück-, Schachtel-, Kästchenmethode) habe ich ebenfalls einige Schüler zu Hause vorbereiten und in der Stunde am Overheadprojektor erklären lassen, und zwar sowohl in der 10. Klasse bei Caesar als auch in der 11. Klasse bei Cicero. Sie mussten vorgegebene fertige Satzanalysen auf eine Folie übertragen und sie erklären, im zweiten Gang aber selbst einen weiteren Satz mit vielen Hypotaxen aus Caesar bzw. Cicero heraussuchen und daran zeigen, dass sie die Methoden begriffen haben. Also aktives Lernen wird auch hier gefordert und gefördert.

In den zwei Jahren Leistungskurs haben wir in Latein nicht mehr das Problem der großen Gruppen. In den letzten Jahren umfassten meine Lks nur jeweils 6 bis höchstens 12 Schüler. Da sind dann etwas andere Methoden angebracht. Dazu einige Beispiele: Alle übersetzen im Unterricht denselben Text. Die Schüler korrigieren und helfen sich gegenseitig ohne den Weg über den Lehrer, der nur eingreift, wenn seine Hilfe gewünscht wird.

Bei schwierigen Konstruktionen, z.B. Cicero oder Livius, ist die eine Hälfte der Gruppe für das Herausfinden der unbekannten Vokabeln, die andere für die Satzkonstruktion verantwortlich. Die Erstellung der Übersetzung findet dann in Gemeinschaftsarbeit statt. Der Lehrer hilft nur bei Bedarf.

Als ich vor einigen Jahren in einem Leistungskurs zwei Grundkursschüler hatte, von denen einer Latein als schriftliches Prüfungsfach gewählt hatte, für dessen Übersetzung und Interpretation im Abitur die Autoren umgekehrt zum Leistungskurs vorgesehen waren - d.h. die LK-Schüler/innen hatten Cicero als Übersetzungs- und Seneca als Interpretationsschriftsteller, habe ich in manchen Stunden die Leitung der Übersetzung zwei sehr guten LK-Schülern übertragen und währenddessen mich in einer anderen Ecke des Klassenzimmers den zwei GK-Schülern gewidmet. Auch dieses Verfahren funktionierte gut.

Andere Male bereiteten einzelne Schüler im Voraus Übersetzungen (von Cicero bzw. Seneca) vor, lieferten sie mir schriftlich ab zur Korrektur und leiteten dann an meiner Stelle den entsprechenden Teil.

Im vorigen und jetzigen LK hatte ich wegen sonstiger aufwendiger Unterrichtsvorbereitungen leider keine Zeit mehr für zusätzliche Korrekturen und habe daher je zwei Schüler/innen zu der zu bearbeitenden Übersetzung von Seneca, unserem jetzigen Übersetzungsautor, eine nicht zu freie deutsche Version mitgegeben mit der Auflage, diese erst zur Kontrolle zu benutzen. Ich legte Wert darauf, dass sie grammatische Fragen wie die nach Kasusfunktionen, semantischer Funktion von Gliedsätzen u.ä. parat hatten und immer versuchten, bei Fehlübersetzungen ihrer Klassenkameraden mit Fragen zu helfen, zur richtigen Version zu gelangen. Es war immer wieder erstaunlich und erfreulich zu beobachten, wie geschickt und gekonnt manche diese Fragen formulierten.

Die Durcharbeitung eines großen Teiles von dem Realienbuch „Res Romanae" dem Begleitbuch für die lateinische Lektüre aus dem Cornelsen-Verlag, gehört bei mir zu jedem Leistungskurs. Alle müssen etwa 4 Seiten pro Woche zu Hause lesen und sich zu den Ausführungen Notizen machen; ein/e Schüler/in stellt Fragen zu je 2 Seiten, so dass jede Woche zwei Schüler für den aufgegebenen Teil verantwortlich sind. Der Arbeitsplan wird für einige Monate erstellt. Ich mache ggf. Ergänzungen oder beantworte Fragen, die z.B. von meinem augenblicklich sehr interessierten Leistungskurs erfreulich häufig gestellt werden. Um nur ein Beispiel zu geben: es hatten in der einen Doppelstunde der Woche zwei Schüler/innen zum Kapitel über Vergil Fragen zu stellen; in der nächsten Woche hatte ein/e Schüler/in die gleiche Aufgabe für Horaz, der/die zweite für Tibull und Properz.

Die Präsentation von Dias wie z.B. vom Forum Romanum, der Ara Pacis oder vom Augustus von Primaporta haben selbstverständlich Schüler/innen übernommen. Am Rande bemerkt: Ich habe das in ähnlicher Weise schon in der 7. Klasse so gehandhabt bei unserem vorgeschriebenen fächerübergreifenden Thema „Die Römer in Baden-Württemberg" mit Dias von Soldaten bzw. Bauten am Limes. Dies wurde ebenfalls recht gern und gut gemacht.

In Baden-Württemberg haben wir für den Interpretationssteil im Abitur ein sogenanntes Sternchenthema, das jährlich wechselt. Als Seneca an der Reihe war, hat jede/r meiner Schüler/innen im Verlaufe der Durchnahme mindestens zwei Referate halten müssen, seien es von Aufsätzen aus wissenschaftlichen Zeitschriften oder Büchern oder speziellere Aufgaben wir z.B. der Vergleich Senecas mit einer Platon- bzw. Aristoteles-Stelle. Damit alle von den Referaten wirklich profitierten, mussten die Zuhörer/innen eifrig Notizen machen während des Vortrags, und die Schülerlehrer stellten hinterher ihre ausgearbeiteten Fragen dazu, zu denen noch einige von meiner Seite kamen.

Bei dem Sternchenthema „Ovid, Metamorphosen" (1998) bekam jede/r de Schüler/innen die Aufgabe, eine Metamorphose in aller Ausführlichkeit mit der Klasse zu behandeln, nachdem wir zuvor einige Metamorphosen unter meiner Leitung interpretiert hatten. Das Material, also Kommentare, Interpretationen und Aufsätze suchte ich für sie zusammen. Auch die Nachwirkung von Ovids Metamorphosen in Dichtung und Kunst durch die Jahrhunderte gehörte mit dazu.

Das Verfahren hat sich bewährt. Vor allem eine Schülerin hat sich mit solcher Begeisterung in „Orpheus" vertieft und von sich aus für die Klasse Teile eines Videos von Glucks Oper „Orpheus und Eurydike" ausgesucht, vorgeführt und eigenständig eine Interpretation mit der Gruppe durchgeführt.

Bei unserem gegenwärtigen Interpretationsthema „Römische Liebesdichtung: Catull, Horaz, Ovid" habe ich je zwei Schüler/innen beauftragt, sich gründlich in das Leben und die Werke eines der Dichter einzuarbeiten und ein Blatt mit den wichtigsten Daten zu erstellen. Besonders der Vortrag über Catull war hervorragend: die beiden Mädchen haben nicht nur auf zwei Seiten eine gute Zusammenfassung über den Dichter, seine Werke, die Zeitumstände und den Dichterkreis angefertigt, sondern in ihrer Stunde zunächst ein Blatt mit selbst verfassten Fragen ausgeteilt, wo sie testeten, was ihre Klassenkameraden noch von der Lektüre des Catull-Kapitels in Res Romanae bzw. vom Unterricht der 11. Klasse wussten, wo Catull schon einmal kurz behandelt worden war. Sie gaben ihrem Mitschülern etwas Zeit, das Blatt auszufüllen, besprachen die Ergebnisse und hielten dann ihren Vortrag über Catull.

So wie jede/r Schüler/in beim Sternchenthema „Die Metamorphosen Ovids" eine Metamorphose mit der Gruppe behandelt hatte, muss im jetzigen Kurs jede/r ein Gedicht behandeln, nachdem wir unter meiner Leitung einige Gedichte aller drei Dichter interpretiert und, wo es sich anbot, verglichen haben. Als ausführlichen Kommentar stellte ich für Horaz den von Karl Numberger (Verlag Aschendorrff) zur Verfügung und an Interpretationen für Catull und Horaz die Consilia - Lehrerkommentare aus dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht (Catull von H.-J. Glücklich und Horaz von L. Rohrmann), für Ovid das Lehrerheft von R. Kussl aus dem Cornelsen-Verlag. Bei den ausgewählten Gedichten, von denen jeweils drei nach der Einzelinterpretation verglichen werden sollen, handelt es sich um: Catull c.76, Horaz c. 3,9 und Ovid, Amores 1,9 sowie um Catull c.85 und 92, Horaz 1,5 und Ovid, Amores 1,3.

Eine schriftliche Übersetzung sowie eine Ausarbeitung der geplanten Interpretation in Stichworten geben mir die Schüler/innen einige Tage vorher ab, so dass wir noch Unklarheiten, Verbesserungen und Zusätze besprechen können. Einige Schülerinnen haben sogar von sich aus ihre Unterrichtsergebnisse in den Computer eingegeben und Kopien an ihre Klassenkameraden ausgeteilt.

Zu der Schüler-Unterrichtsstunde ist die Übersetzung des vorgesehen Gedichts für alle Hausaufgabe: neben Schulausgaben haben die Schüler auch deutsche Übersetzungen aller drei Dichter. Die Leitung der Übersetzung liegt bei dem Schüler-Lehrer, ebenso das Lesen. Darauf folgt die Interpretation ganz in Schülerregie, bei der bisher nur gelegentlich meine Hilfe benötigt wurde. Für vergleichende Fragen haben die jungen Leute sich zusätzlich außerhalb des Unterrichts getroffen. Diese Fragen werden nach der Interpretation von je drei Gedichten behandelt, zu denen noch die von mir ausgearbeiteten kommen.

Es versteht sich von selbst, dass bei allen Ausführungen der Schüler/innen der Lehrer nie überflüssig wird, sondern mit seiner Fachkompetenz immer präsent sein muss. Vor allem die direkte Instruktion oder Leitung z.B. bei zu erwerbenden Fertigkeiten, die ihnen schwer fallen - bei meinen letzten LK war es u.a. der Übersetzungsvergleich -, oder allgemeine Ausführungen zu den Schriftstellern, die durch die Einzelinterpretation nicht abgedeckt werden können wie z.B. solche über die römische Liebesdichtung hat auch in einem Unterricht mit LdL ihren festen Platz. Auch bei der Übersetzung von Seneca wird der Lehrer an vielen Stellen gebraucht, da die Schüler/innen Mühe haben, sich in seine Gedankenwelt zu versetzen.

Ich bin jedoch davon überzeugt, dass LdL im Lateinunterricht bei unseren heutigen Jugendlichen, denen Konzentration so schwer fällt und die Mühe haben, längere Zeit zuzuhören, sei es dem Lehrer oder dem/der übersetzenden Mitschüler/in, die es aber danach drängt, selbst etwas zu tun, eine der besten Unterrichtsmethoden ist. Das habe ich gerade auch in einer recht undisziplinierten und wenig lernwilligen 9. und 10. Klasse festgestellt. Sobald die Schüler/innen vor der Klasse agieren oder auch nur in der Gruppe arbeiten konnten, war jeder eifrig bei der Sache, beim Frontalunterricht dagegen das Interesse recht gering; mit anderen Worten: LdL ist keineswegs nur auf leistungsstarke Klassen beschränkt.

Ich hoffe, mit den beschriebenen Möglichkeiten des Einsatzes von LdL in der Lektürephase deutlich gemacht zu haben, dass man mit dieser Methode den am Anfang des Aufsatzes aufgezählten Ansprüchen an das Lernen sich zumindest gut nähern, z.T. aber ihnen voll gerecht werden kann.

Jeder Lehrer sollte, selbst wenn er schon lange im Dienst ist und sich vielleicht vor dem Ungewissen, das nun einmal jede Neuerung in sich trägt, scheut, den Mut haben, in kleinen Schritten öfters die Leitung abgeben. Man kann beispielsweise mit dem Abfragen der Hausaufgaben beginnen, beim Lehrbuch Kinder einzelne Übungen leiten lassen und dann nach und nach zur Einführung einer Lektion durch Schüler/innen übergehen. In der Lektürephase bietet sich die Möglichkeit, einzelnen die Kontrolle der zu Hause angefertigten Übersetzung anzuvertrauen, nachdem man sie selbst korrigiert hat. Oder man beschränkt sich zunächst auf die Übertragung der Interpretationsfragen, wie oben beschrieben. Die Schüler/innen lernen viel dabei und sind dafür dankbar; für manche ist es endlich einmal eine Gelegenheit, sich zu entfalten. Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, wieviele ungenutzte Fähigkeiten in unseren jungen Leuten schlummern, auch in solchen, von denen man es gar nicht erwartet und bei denen man es im traditionellen Frontalunterricht nicht merken kann.

Waltraud Beck
Sebaldplatz 6
73525 Schwäbisch Gmünd
März 2000