LdL (Lernen durch Lehren) im Mathematikunterricht der Grundschule (Bericht 3)

Februar 2000

 

Erfahrungsbericht von Peter O. Chott

Abstrakt: Im Anschluss an die Versuche in der 3. sowie in der 4. Klasse, wurde mit derselben Grundschulklasse eine weiterer Versuch gestartet, im Sinne der MARTIN‘schen LdL-Methode zu arbeiten. Es ging um die Einführung des schriftlichen Malnehmens mit einstelligen, zweistelligen und dreistelligen Zahlen

Zur Klassensituation:
Die SchülerInnen dieser 4. Grundschulklasse zeigen -nach wie vor- ein heterogenes Leistungsbild. Das heißt in der beschriebenen Klasse sind von insgesamt jetzt 25 SchülerInnen mittlerweile 3 bis 4 Kinder mit sehr guten, 4 bis 5 mit guten und 3 bis 4 mit schwachen Mathematikleistungen vorhanden. Die übrigen SchülerInnen sind im mittleren Leistungsniveau anzusiedeln. Alle Kinder verfügen über so viel Sprachkompetenz, dass sie –d.h. auch die 6 Ausländer- bzw. Aussiedlerkinder- dem Unterricht in deutscher Sprache im Wesentlichen folgen können. Die SchülerInnen haben Vorerfahrungen mit Gruppen-, Frei- und Stationenarbeit, mit dem Metathema 'Lernen lernen' und -in begrenztem Maße- seit dem vergangenen Schuljahr mit LdL (vgl. Bericht 1, Bericht 2)
 
Zum methodischen Vorgehen:
Den SchülerInnen ist aus dem vergangenen Schuljahr das "halbschriftliche Malnehmen" bekannt. Dieses -didaktisch vorausgehende Verfahren- wurde mit den SchülerInnen wiederholt und das "Wesen" (das Prinzip der Zerlegens) nochmals herausgearbeitet. Danach sollte in dieser ersten Unterrichtseinheit der
1. Schritt: Das Multiplizieren mit einer einstelligen Zahl zunächst ohne Zehnerübergang
im LdL-Verfahren eingeführt werden. Da nun bekannt war, dass einige SchülerInnen von Hilfestellungen durch Omas, Mamas etc. bereits vom Normalverfahren des schriftlichen Malnehmens Kennntis hatten, wurden diese Kinder durch Abfrage ermittelt und als "Experte"  herausgestellt. Anschließend sollten sich die übrigen SchülerInnen den an je einem eigenen Gruppentisch wartenden "Experten" zuordnen. Danach wurde die Aufgabe gestellt, die Rechnung 2321 mal 3 auszurechnen. Die "Experten" forderten (ganz in ihrer Rolle aufgehend) ihre Gruppenmitglieder auf, die Aufgabe zu versuchen und erklärten ihren Schützlingen wie der Algorithmus (das Rechen-Normal-Verfahren) aussehen muss. Einige abschließende Beispiele sowie die Wiederholung und Reflexion an der Tafel mit allen SchülerInnen sicherten die neue Erkenntnis dieser Unterrichtseinheit. Als Übung und Hausaufgabe sollten einige Rechenbeispiele aus dem Buch bearbeitet werden.
Am nächsten Tag erfolgte in einer nächsten Unterrichtseinheit der 2. Schritt: Das Multiplizieren mit einer einstelligen Zahl mit Zehnerübergang. Die SchülerInnen sollten sich erneut in der Gruppe der von ihnen gewählten "Experten" zusammensetzen. Nach der gemeinsamen Hausaufgabenkontrolle wurde seitens der Lehrkraft gefragt, wie die Aufgaben schwieriger gestaltet werden könnten. Sie nannten Beispiele wie 2345 mal 35 oder 2345 mal 135 und auch die gestrige Aufgabe abgewandelt in 2321 mal 9. Damit waren die Ziele für die nächste Zeit gesteckt. Die letzte Aufgabe, die als das Multiplizieren mit Zehnerübergang identifiziert wurde, fasste man nun als erstes Ziel ins Auge. Die erneuten je eigenen Rechen-Versuchsergebnisse der Gruppenteilnehmer wurden von den "Experten" kommentiert und korrigiert. Es entwickelte sich eine intensive Diskussion um das "Eins- Gemerkt". Die Anwendung und Kontrolle erfolgte ebenso wie tags zuvor an einigen weiteren Rechenbeispielen aus dem Buch. Eine Nachbesprechung und mathematische Begründung der Rechenschritte an der Tafel mit wiederum allen SchülerInnen leitete die Übungsphase ein, die in der Hausaufgabe ihre Fortsetzung fand.
Nach zwei angesetzten Übungsstunden, in denen die SchülerInnen in Einzelarbeit das neue Verfahren an unterschiedlichen Lernmaterialien und unter Zuhilfenahme der "Experten" einüben sollten, wurde das nächste Ziel, Schritt 3 angestrebt: Das Multiplizieren mit einer "glatten" zweistelligen Zahl. Es wurden nun zum Teil die "Experten"-Rollen neu besetzt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass nur die leistungsmäßig guten MathematikerInnen der Klasse die Erweiterung des Rechenverfahrens auf dieser Ebene richtig bewältigen konnten. Das Vorgehen in der Unterrichtseinheit war aber zum oben genannten analog, so dass wiederum die Gruppenmitglieder von den (zum Teil neuen) "Experten" zur Lösung dieser weiteren Rechenschwierigkeit hingeführt wurden und in der Reflexionsphase mit der Lehrkraft die mathematischen Vorgänge "hinter" dem Verfahren beleuchtet werden konnten.
Zum 4. Schritt, der Multiplikation mit einer zweistelligen Zahl (auch mit Zehnerübergang) wurde nun erstmals von den "Experten" eine Vorbereitung verlangt. Die Lehrkraft bat die fünf (leistungsmäßig starken) "Experten" sich im Buch (siehe WESTERMANN 'Denken und Rechnen' 4 - Ausgabe BY, S. 66) mit dem Rechenbeispiel zuhause auseinanderzusetzen. Sie sollten versuchen, das Beispiel, das die Multiplikation einer Zahl mit einer zweistelligen Zahl beinhaltete, zu verstehen. Daran anschließend  sollten die "Experten" auf derselben Seite (Nr. 7) Aufgaben rechnen und das Ergebnis anhand der Kontrollzahlen überprüfen. Wenn die betroffenen SchülerInnen zu positiven Rechenergebnissen kommen würden, sollten sie sich überlegen, wie sie das Verfahren ihren Klassenkameraden erklären würden. Während der anfänglichen Freiarbeitsphase der nächsten Unterrichtseinheit (=Doppelstunde) prüften die Lehrperson die "Experten", ob diese die Problematik verstanden hatten und ob sie das Verfahren richtig anwenden konnten. Eine der "Experten" hatte Schwierigkeiten mit der richtigen Schreibweise, ansonsten hatten sich diese "Experten"-SchülerInnen aus dem Buch selbstständig ein neues Rechenverfahren erarbeitet! Die richtige Schreibweise veranlasste die Lehrperson den "Experten" noch einige "didaktische" Tipps zu geben. Sie sollten darauf achten, dass "ihre Schüler" die Zahlen richtig untereinander schreiben, dass bei der zweistelligen Zahl beim Malnehmen -analog der Buchvorlage- zuerst bei den Zehnern begonnen werden (obwohl es auch anders geht) und dass sie sich nicht durch "ihre Schüler" nervös machen lassen sollten. Die "Lehrphase" erfolgte wie die oben beschriebene. Es waren leise, intensiv Gespräche, ungeduldige Äußerungen der Guppenmitglieder und geduldiges Daraufeingehen der "Experten" zu beobachten. Tatsächlich rang jeder Schüler und jede Schülerin dieser 4. Klasse darum, die hier gestellte mathematische Schwierigkeit zu bewältigen. Nach einiger Zeit des Ringens holte sich die Lehrperson die vier leistungsschwächsten SchülerInnen an einen eigenen Tisch und ließ sich von ihnen ihre "neuen Künste" vorführen, während die anderen SchülerInnen unermüdlich an Übungsaufgaben die neuen Kenntnisse anwandten. Bis auf wenige Hilfestellungen seitens der Lehrperson war auch den "Schwachen" das mathematische Vorgehen klar. Die anschließende gemeinsame Reflexionsphase konnte relativ kurz gehalten werden. Sie erbrachte die Zerlegung der "Malzahl" 52 in: mal 5, mal 10, mal 2 und die Verbalisierung der korrekten, zum richtigen Rechenergebnis führenden Schreibweise.
Auch zum 5. Schritt, der Multiplikation mit einer dreistelligen Zahl (auch mit Zehnerübergang) wurden erneut die "Experten" um eine Unterrichts-Vorbereitung gebeten. Die Lehrkraft bat erneut die fünf leistungsmäßig stärksten Kinder sich im Buch (siehe WESTERMANN 'Denken und Rechnen' 4 - Ausgabe BY, S. 67) mit dem abgedruckten Rechenbeispiel auseinanderzusetzen. Die Vorgehensweise im Unterricht war analog zu der im 4. Schritt beschriebenen und befähigte die gesamte Klasse innerhalb einer 45-minütigen Unterrichtseinheit zur Anwendung dieses Algorithmus', so dass eine Reihe von Übungsbeispielen als Hausaufgaben von allen Schülerinnen und Schülern gerechnet werden konnten. Die begangenen Fehler, das erbrachte die Kontrolle am nächsten Tag, waren ausschließlich Rechenfehler, also keine Rechenwegs-Fehler. Auch die Begründung der einzelnen Rechenschritte sowie "das Anhängen der Nullen", was in der nächsten Unterrichtseinheit ebenso vertiefend gemeinsam erarbeitet und hinterfragt wurde, konnte jedes Kind dieser Klasse mathematisch (also nicht nur schematisch) korrekt begründen und sogar auf die Multiplikation mit vierstelligen Zahlen transferieren.

Reflexion:
Dieses Vorgehen sehe ich als ein Vorgehen im Sinne der Mathetik. Bei der so angewandten LdL-Methode geht man vom Schüler aus, nutzt das bereits vorhandene Potential und "didaktisiert" erst im Anschluss an die Schülerauseinandersetzung. Damit kann der Vorwurf, die SchülerInnen würden nur eine Handlungsanleitung zum schriftlichen Multiplizieren bekommen ohne diese mathematisch zu durchdringen und zu verstehen, entkräftet werden. Vorteil aber ist, dass -wie die Erfahrungen zeigen- in der mathematischen (didaktischen) Reflexionsphase, nach meiner Beobachtung, alle SchülerInnen bei der Sache waren. Das kann daran liegen, dass das Erfolgserlebnis, diese mathematische Schwierigkeit bewältigt zu haben, die SchülerInnen für die anspruchsvollere Durchdringung bereit gemacht hat oder auch daran, dass nur die Dinge hinterfragt werden, die den Kindern tatsächlich nicht klar sind. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die hier angewandte LdL-Methode schneller zum Erfolg und zur Beherrschung des einsichtigen Algorithmus führte als das früher von mir "didaktische" (manche SchülerInnen langweilende) Vorgehen. Ebenso vorteilhaft war die Motivation, die von dem "Experten"-Status ausging. Bei der Einführung der ersten beiden Schritte hatten sich nämlich zum Teil SchülerInnen als "Experten" herauskristallisiert, die sonst eher im letzten Leistungsdrittel anzusiedeln waren. Sie hatten als Hilfestellung zur Bewältigung des "halbschriftlichen Verfahrens" von ihren Omas, Mamas etc. das Normalverfahren gezeigt bekommen und waren so in der Lage, auch manchem guten Mathematiker der Klasse etwas Mathematisches zu erklären.

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