Wilhelm Marquardt, Schulzeitung Overbacher Brücke Nr. 29, Jülich, 01.12.1998.

Sieben Jahre LdL-Erfahrung

Seit sieben Jahren praktiziere ich die von Privatdozent Dr. Jean-Pol Martin entwickelte Methode "Lernen durch Lehren", bei der Schülerinnen und Schüler nach Vorbereitung durch den Lehrer Teile des Unterrichtsgeschehens übernehmen. Schon nach wenigen Unterrichtsstunden in Klassen mit Französisch als neueinsetzender Fremdsprache beginne ich, die Lehrerzentrierung kontinuierlich abzubauen, um möglichst viele authentische, interaktive Sprechsituationen innerhalb der Lerngruppe zu schaffen.

In den etwa halbjährlich stattfindenden Unterrichtsfeedbacks führen die Schüler als Vorteile von LdL die Kooperationsmöglichkeiten mit Klassenkameraden und die größere Lernfreude an. Der Lernstoff wird als abwechslungsreicher und interessanter, der Lehrer als Berater, Helfer und Partner empfunden.

Kritikpunkte seitens der Jugendlichen sind manche als zu langweilig und zu ideenlos bewertete Präsentationen und Moderationen. Um den Ideenreichtum und die methodische Phantasie der Schüler anzuspornen, habe ich pro Lerngruppe einen Innovations-Wanderpokal gestiftet: Er wird für methodisch und inhaltlich besonders attraktive Darbietungen mit selbstentwickelten Arbeitsblättern, Folien, Spielen, Rätseln, Lernplakaten, Rollenspielen usw. verliehen. - Einige Schülerinnen und Schüler, die besonders stark dem analytisch-visuell-auditiven Lerntyp angehören, beklagen die lückenhaften bzw. schwer verständlichen Grammatikerklärungen durch Mitschüler. diese Kritik hat mich schon zu Beginn des LdL-orientierten Unterrichts dazu bewogen, prinzipiell die neue Grammatik zunächst selbst induktiv einzuführen.

Dass quantitativ beim Sprechen mehr Fehler gemacht werden, die ich z.T. nicht sofort berichtigen kann, ist nicht verwunderlich bei einem Sprechanteil der Schülerinnen und Schüler, der durch LdL von 20% auf 80% erhöht wird. Aber eine fehlerbehaftete fremdsprachliche Kommunikation ist besser als Sprachlosigkeit, was auch den in den neuen Richtlinien verankerten Lernzielen entspricht. Außerdem lernen die Schüler schnell, ihre sprachlichen Unvollkommenheiten zur Basis für Lernfortschritte zu machen.

Die Schülerinnen und Schüler beklagen den erhöhten Arbeitsaufwand bei den Vorbereitungen für Moderationen und die häufigen schriftlichen Lernzielkontrollen; gerade bei schwächeren Schülerinnen und Schülern führen diese Maßnahmen jedoch zu deutlichen Verbesserungen ihrer mündlichen und schriftlichen Leistungen. Durch die stärkere Handlungsorientierung und die methodische Vielfalt setzen sie sich intensiver mit dem Lernstoff auseinander und behalten ihn besser. Den unterschiedlichen Lerntypen in einer Lerngruppe wird mehr Rechnung getragen, und die Unterrichtsatmosphäre ist entspannter. All’ das wiegt für mich den deutlich höheren Zeit- und Organisationsaufwand auf, zumal ich als Lehrer den einzelnen Schülern durch LdL menschlich nähergekommen bin. Darüber hinaus sichert das selbstgesteuerte Lernen, das ich nur initiieren kann, am besten dauerhaften Lernerfolg.

 

Wilhelm Marquardt, Schulzeitung Overbacher Brücke Nr. 29, Jülich, 01.12.1998.