Gerhard Schilder (Luitpold-Gymnasium München) 29.03.95
Jutastr. 28, 80636 München, Tel.: 089/1231426
F/Sport Gymnasium

 

LdL im Sport - ein Versuch, Sportunterricht neu zu gestalten.

 

Begründung des Versuchs

Meine bisherige Erfahrung zeigt, daß die Mehrzahl der SchülerInnen der gymnasialer Oberstufe (11.-13.Kl.) nach sechs oder mehr Jahren Sportunterricht kaum über Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse verfügt, um eine sportliche Tätigkeit, die auf die Erhaltung und Förderung der Gesundheit im Allgemeinen und einer gewissen "Fitneß" im Speziellen ausgerichtet ist, selbständig und lebensbegleitend ausüben zu können.

Gesellschaftlich relevante Aktionsmuster, wie Kooperationsbereitschaft und Interaktionsfähigkeit, sowie individuell bedeutsame Merkmale, wie Körperbewußtsein und gesunde Ernährung, sind zwar im Lehrplan (für das bayerische Gymnasium) verankert, aber nicht in den Köpfen der SchülerInnen.

Zudem scheint die Anstrengungsbereitschaft der jungen SchülerInnen. zunehmend in der Mittel- und Oberstufe vom Lustprinzip verdrängt zu werden. Nicht ausgeschlossen ist dabei der Wunsch nach Ausübung von sportlich anspruchsvollen Bewegungen - Speerwurf, Flick-Flack, Angriffsschlag im Volleyball oder Delphinschwimmen, um nur einige davon zu nennen. Den meisten Lernenden ist es jedoch nicht einsichtig, daß hierfür in der jeweiligen Sporart erst die körperlichen Voraussetzungen zu schaffen sind.

Letztlich meine ich beobachten zu können, daß sich mit zunehmendem Alter eine konsumierende, "anti-gestalterische", vielleicht auch resignierende Haltung im Sportunterricht ausbreitet.

Um diese Situation zu ändern, bedarf es m.E. eines Umdenkens im Sportunterricht von seiten der Lehrenden als auch der Lernenden.

 

Durchführung des Versuchs (1. Teil)

Zurückgreifend auf die mehrjährigen Erfahrungen mit "Lernen durch Lehren" im Französisch-Unterricht, beeinflußt durch verschiedene positiv verlaufene Erprobungen in Verein und im Differenzierten Sportunterricht, und ermutigt durch Gespräche mit J.-P. Martin, U. Luzay, M. Lirsch und anderen KollegInnen, begann ich im Herbst 1993 mit dem Grundkurs Leichtathletik (= GK LA), um LdL im Sportunterricht anzuwenden.

In einem Gespräch erläuterte ich den 29 SchülerInnen. meine Grundidee. und ließ sie verschiedene Themenbereiche auswählen, wobei sie paarweise die Bereiche "Allgemeine Erwärmung" und "Leichtathletisches Thema" zu bearbeiten hatten.

Die Ergebnisse im Verlauf des Kurshalbjahres waren jedoch alles andere als ermunternd:

  1. Die Kollegiaten hatten enorme Schwierigkeiten, das grundlegende Element in der leichtathletischen Bewegung zu erkennen und darzustellen.
  2. Die Erlern- bzw. Übungsphase konnte von den SchülerInnen. kaum oder nur unzureichend strukturiert werden.
  3. Der Umgang der Lernenden untereinander war geprägt von Animositäten, Schadenfreude und Gehäßigkeiten.
  4. In ihren Bemühungen wurden die "Lehrenden" von ihren Kurskameraden nur ganz wenig unterstützt.
  5. Die SchülerInnen. nahmen kaum das Angebot war, sich vom Lehrer beraten zu lassen.

Die Situation war in den jeweiligen Stunden entsprechend desolat, selbst das Eingreifen des Lehrers, das immer wieder nötig wurde, um z.B. Höflichkeit oder eine stärkere Beteiligung einzufordern, änderte nur kurzzeitig das Unterrichtsgeschehen.

Letzlich muß der Versuch als gescheitert angesehen werden. Die Gründe hierfür sind natürlich verschiedener Natur, aber rückblickend läßt sich feststellen:

  1. Für die SchülerInnen gab es subjektiv gesehen keine Rechtfertigung für die Einführung einer anderen Art von Sportunterricht; das Gespräch hatte anscheinend keinerlei Wirkung.
  2. Die SchülerInnen waren überfordert und wagten dies aber nicht - wohl aus verschiedenen Motiven - kundzutun.
  3. Die zum Teil vehemente Kritik an einzelnen Stundengestaltungen von meiner Seite aus, aber auch von seiten der MitschülerInnen trug mehr zu einer Verunsicherung als zu einer positiven Arbeitseinstellung bei.
  4. Für viele KollegiatInnen war es kaum zu akzeptieren. daß es für das Fach Sport eine häusliche Vorbereitung gab.

 

Durchführung des Versuchs (2.Teil)

Das negative "feed-back" war natürlich unbefriedigend. Dennoch war für mich eigentlich nicht einzusehen warum es im Sport nicht möglich sein sollte, andere Formen des Unterrichtens anzuwenden.

So startete ich im folgenden Semester in einem anderen GK LA einen weiteren Versuch: das Vorgehen meinerseits war ähnlich, allerdings mit dem Unterschied, daß ich den SchülerInnen meine Idee nicht erläuterte, also keine Vorgaben machte, sondern ihnen zuerst die Themenliste gab, sie sich eintrugen, und ich dann zu ihren Fragen und Problemen Stellung beziehen konnte. In dem Gespräch wurde im Konsens mit den 29 KollegiatInnen auch vereinbart, daß

  1. das Erwärmen von den "Lehrenden" in der betreffenden Stunde übernommen wird,
  2. der Stundenentwurf in der Woche zuvor mit mir besprochen wird,
  3. die Lerninhalte schriftlich festzuhalten sind,
  4. dieses Konzept allen Lernenden zuganglich gemacht wird und als Grundlage für die theoretische Prüfung dient.

In den Unterrichtsstunden zeigte es sich dann, daß die SchülerInnen sehr wohl fähig waren, Lerninhalte aus der Leichtathletik an den Mann/die Frau zu bringen, auch - und dies sei hier besonders hervorgehoben - bei Disziplinen, die für den Lehrenden neu waren, z.B. Schleuderball oder Hürdenlauf. Zwar war das Niveau des Erlernten nicht immer der Erwartung entsprechend hoch, es war jedoch immer ein Lernzuwachs zu beobachten.

Das zufriedenstellende Ergebnis dieses Versuchs läßt sich wohl darauf zurückführen, daß

  1. in der Gruppe eine sehr kameradschaftliche, hilfsbereite Haltung dem Einzelnen gegenüber vorhanden war,
  2. die SchülerInnen ihre Aufgaben sehr ernst nahmen,
  3. regelmäßig das Gespräch mit mir gesucht wurde, um Hilfestellungen zu bekommen in der Bewältigung der Aufgabe,
  4. einzelne sehr gute Athleten die MitschülerInnen durch ihre Motivation "mitreißen" konnten.

Natürlich gab es auch Mängel, die den Lernerfolg minderten:

  1. Manche "Lehrende" hatten Schwierigkeiten, ihr gutes Konzept umzusetzen, Schwierigkeiten mit der Stimme, mit der Organisation.
  2. Probleme entstanden auch durch die Unfähigkeit, Fehler in der Bewegung und deren Ursachen zu erkennen.
  3. Die "Lehrenden" neigten dazu, ihre MitschülerInnen zu überfordern.

Es sei hier noch angemerkt, daß in den jeweiligen Stunden von meiner Seite aus nur selten eingegriffen wurde, es aber nach jedem Stundenabschnitt, z.B. nach dem Erwärmen oder nach der Lernphase einer Bewegung, eine kurze, kritische Auseinandersetzung mit dem Dargebotenen gab. Diese kurze Reflexion wurde allgemein als sehr wohltuend empfunden und scheint mir auch sehr sinnvoll zu sein.

 

Durchführung des Versuchs (3. Teil)

Aufgrund der ermutigenden Erfahrung mit jenem GK LA wollte ich einen neuen Versuch wagen, LdL im Sportunterricht anzuwenden. Im Herbst 1994 begann ich dann im GK Basketball der 12. Jahrgangsstufe diese Art des Unterrichtens - es wird auch als Methode bezeichnet - einzuführen.

Auch dieses Mal stellte ich der Gruppe eine Themenliste vor, in die sie sich nach Absprache eintrugen. Danach wurde wieder im Gespräch erörtert, wie die Realisierung der Unterrichtseinheiten aussehen könnte bzw. sollte. Ähnlich wie im Semester zuvor einigten wir uns auf

  1. die Vorbesprechung mit dem Lehrer,
  2. die schriftliche Fixierung des Konzepts.

Nachdem die Gruppe nur aus elf Schülern bestand, war es auf der einen Seite für die "Lehrenden" leichter. mit der Gruppe umzugehen, auf der anderen Seite mußten sie das Thema alleine bewältigen. Jeder Schüler war je einmal für das Erwärmen und für den technisch-taktischen Teil der Stunde verantwortlich.

Die Ergebnisse waren von einer Ausnahme abgesehen allesamt gut bis exzellent. Es sollte sich auch zeigen, daß das Verständnis für kompliziertere Zusammenhänge im taktischen Bereich wuchs, daß mit zunehmender Semesterdauer die Spielkultur an Qualität gewann, und daß schließlich die theoretische Prüfung für die Schüler kein Problem darstellte. Letztendlich sei angemerkt, daß ich als Lehrer die Übungen immer mitmachte, nach Stundenabschnitten wieder eine Reflexion über das Gesagte, Gehörte und Gemachte eingeschoben wurde, das Spiel in jeder Stunde von den Schülern selbst organisiert wurde, wobei man des öfteren ohne Schiedsrichter spielte, und alle Teilnehmer des Kurses viel Spaß dabei empfanden. Die Gründe für das erfolgreiche Gelingen dieses Versuchs sind wohl

  1. die positive sportliche Einstellung der meisten Kursteilnehmer,
  2. die sorgfältige Aufbereitung der Themen durch die Schüler,
  3. die regelmäßige Rücksprache mit dem Lehrer,
  4. die lockere, humor- aber auch rücksichtsvolle Art, wie die Schüler miteinander umgingen.

Vereinzelte Mängel in der Organisation von Stundenteilen sind auf die fehlende Erfahrung der Schüler zurückzuführen.

 

Schlußfolgerung

Erkenntnis 1: LdL läßt sich im Sportunterricht durchführen.
Erkenntnis 2: Probleme hierbei sind zu erwarten bei
  • Klassen/Gruppen, die nicht sozial miteinander umgehen können,
  • dem Erkennen von fehlerhaften Bewegungsausführungen.
  • fehlenden Richtlinien, an die sich die SchülerInnen halten können,
  • zu hohem Effizienz-Anspruch der Lehrperson
Erkenntnis 3: Die Vorgabe von Themen erweckt eine gewisse Lernbegierde, deren Befriedigung den reizvoll erscheint.
Erkenntnis 4; Den SchülerInnen werden die Lerninhalte von den Anderen sehr gut vermittelt, wobei die "Lehrenden" selbst am meisten davon profitieren.
Erkenntnis 5: Quasi nebenbei tätigen die SchülerInnen Erkenntnisse, die ansonsten wohl entfallen. Diese resultieren aus dem Perspektivenwechsel, der Ambivalenz zwischen Theorie und Praxis, dem Rollenverständnis des Einzelnen, und nicht zuletzt der nötigen Kooperation mit den MitschülerInnen und der Lehrperson.
Erkenntnis 6: Für die "Lehrenden" ist es ungewohnt, Sportunterricht zu gestalten. Es bedeutet für sie einen großen Aufwand an Zeit und Arbeit, verglichen wird dies des öfteren mit einem Referat in den anderen Schulfächern.

 

Summa summarum werde ich auch im kommenden Semester versuchen, LdL im Sportunterricht anzuwenden. Das Schlußwort sei einem Schüler überlassen, der, nach seiner Meinung zu LdL im Sport befragt, schrieb:"Ich glaube, es ist besser, als alles den Lehrer machen zu lassen. Man fühlt sich integrierter."

 

 

KURS sp1A UNTERRICHTSBEITRÄGE
"Lernen durch Lehren"

 

Jeder Kursteilnehmer trägt sich ein - mit Partner

  1. in die Spalte "Allgemeine Erwärmung"
  2. in die Spalte "Thema aus der Leichtathletik".

 

Datum Allg. Erwärmung (Name) Thema a. d. LA Name
27.9.93   Lauf Kurzstrecke: Start  
4.10.93   Lauf Kurzstrecke: Beschleunigung  
20.10.93   Lauf Kurzstrecke: Hürdenlauf (Grundübung)  
18.10.93   Weitsprung: Anlauf und Absprung  
25.10.93   Weitsprung Flugphase und Landung  
8.11.93   Hochsprung: Anlauf und Absprung (FLOP)  
15.11.93   Hochsprung Flugphase und Landung (FL.)  
22.11.93   Hochsprung STRADDLE  
29.11.93   Kugelstoß: aus der Stoßlage  
6.12.93   Kugelstoß: Angleiten und Stoß  
13.12.93   Schleuderball: vom Standwurf zum Drehwurf  
10.01.94   Fitness (Kraftausdauer): Schwerpunkt Beine  
17.01.94   Fitness (Kraftausdauer): Schwerpunkt Arme  
24.01.94   Fitness (Kraftausdauer): Schwerpunkt Rumpf  
       
  WICHTIG: Änderungen im Programm sind nur möglich in Absprache mit dem Kursleiter.

Bei Krankheit sollte für Ersatz gesorgt werden.