Erschienen in: Süddeutsche Zeitung Nr. 132 vom Donnerstag, 12. Juni 1997, Aus- und Weiterbildung Seite 25


Im Gespräch

''Den Schülern gehört die Bühne"

"Lernen durch Lehren" (LdL) ist eine Unterrichtsmethode, bei der Schüler die Rolle des Lehrers übernehmen. Zur Zeit unterrichten bundesweit rund 500 Pädapagen nach diesem Konzept, die meisten davon in Süddeutschland. Miriam Hoffmeyer sprach mit Privatdozent Dr. Jean-Pol Martin, der "Lernen durch Lehren" in den 80er Jahren entwickelte.


JEAN-POL MARTIN

Was bedeutet "Lernen durch Lehren?"

Jean-Pol Martin: Kleine Arbeitsgruppen von Schülern bereiten neuen Unterrichtsstoff vor und präsentieren ihn der Klasse. Ein Schüler leitet die Wiederholung der Inhalte der vorangegangenen Stunde und stellt auch die Hausaufgabe.

Wozu braucht man da noch den Lehrer? |

Martin: Der Lehrer gibt den Schülern mindestens eine Woche vorher ihre Arbeitsaufträge, hilft ihnen bei der Vorbereitung, korrigiert die schriftlichen Vorlagen und legt den Ablauf der Stunde fest. Während des Unterrichts schaltet er sich immer wieder ein, um Fehler zu verbessem oder ein Thema weiter auszuführen. Und natürlich muß der Lehrer ständig aufpassen, daß die Disziplin gewahrt bleibt und alle zuhören. Kurz: Den Schülem gehört die Bühne, der Lehrer wird zum Regisseur. Dafür muß man bereit sein, einen Teil der Kontrolle abzugeben. Das fällt vielen Lehrern schwer.

Wo liegen die Vorteile Ihrer Methode?

Martin: Die Schüler beteiligen sich viel lebhafter am Unterricht und lernen mehr - weil sie nicht mehr bloß zuhören, sondern handelnd mit dem Stoff umgehen. Und wenn einer etwas nicht versteht, hat er weniger Hemmungen nachzufragen, wenn ein Klassenkamerad am Pult steht. Die Schüler lernen zudem, Informationen selbständig zu sammeln, zu ordnen und weiterzugeben.

Läßt sich LdL mit dem vorgeschriebenen Stoffpensum vereinbaren?

Martin: Ja, die Methode fügt sich gut in die geltenden Lehrpläne ein. In den ersten Wochen verliert man zwar etwas Zeit, bis die Schüler sich an den neuen Unterrichtsstil gewöhnt haben. Auf die Dauer kann man aber sogar mehr Stoff bewältigen, weil die Klasse aufmerksamer ist.

Flaut die anfängliche Begeisterung der Schüler nicht schnell wieder ab?

Martin: Das kann passieren, denn die Präsentationstechniken der Schüler sind gelegentlich spröde und einfallslos. Dann muß der Lehrer sich einschalten, damit es nicht langweilig wird. Es gibt aber auch sehr kreative Schüler, die ihren Stoff zum Beispiel mit einem Rap oder einer Pantomime erklären. Auf jeden Fall haben dreißig Leute mehr Ideen als einer allein. Da gibt es mehr Möglichkeiten, daß etwas Neues passiert.

Sind die schwächeren Schüler mit der Lehre nicht überfordert?

Martin: Jeder Schüler ist in der Lage, den anderen ein paar Minuten lang etwas zu erklären. In die Lehrerrolle zu schlüpfen, ist für schüchterne und zurückhaltende Kinder ein gutes Training. Sie zeigen mehr Selbstbewußtsein, manche entwickeln sogar Führungsqualitäten.

Wo läßt sich die Methode anwenden?

Martin: Überall, von der Grundschule bis zur Universität und auch in allen Fächem. Im Augenblick arbeiten vor allem Fremdsprachenlehrer mit LdL. Generell bietet sich die Methode vor allem zur Vermittlung von einfachen, überschaubaren Fakten an, zum Beispiel von grammatischen Grundlagen einer Fremdsprache. Weil der Stoff ab der Mittelstufe immer komplizierter wird, muß der Lehrer dann öfter eingreifen und auf größere Zusammenhänge verweisen.

Wie reagieren die Schüler, wenn sie nach LdL wieder auf traditionelle Art unterrichtet werden?

Martin: Sie gewöhnen sich schnell wie der an den anderen Unterrichtsstil. Schüler sind unglaublich flexibel.

 

Kontakt: Jean-Pol Martin, Universität Eichstätt, Tel. 08421 / 93-1536, Fax: -1797; e-mail: jpm@ldl.de