Reflexionen über meinen Unterricht in der 12.Klasse

Eintrag 21


Jean-Pol Martin
19.06.1999

Kommunikation und Stoffvermittlung in Lernergruppen

Die Explosion des Wissens und der Anstieg der Informationsmenge, die die Menschen bei der Lösung ihrer Alltagsprobleme zu bewältigen haben, zwingt zu neuen Lernformen. Umfangreiche Inhalte lassen sich am besten kollektiv verarbeiten. Es ist günstig, die Gruppe metaphorisch als neuronales Netz aufzufassen, wobei einzelne Gruppenmitglieder die Position von Neuronen einnehmen. Eine optimale Auslastung des "neuronalen Netzes" setzt voraus, dass alle "Neuronen" in den Interaktionsprozess einbezogen werden.

  

I. Wann sind Menschen bereit, in der Gruppe das Wort zu ergreifen?

Es wird oft beklagt, dass einzelne Mitglieder sich in Gruppen nicht trauen zu sprechen. Damit stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Menschen bereit sind, ihre Gedanken mitzuteilen? Es scheint, dass man dann bereit ist, das Wort zu ergreifen, wenn man das Gefühl hat, dass man über relevante Informationen verfügt und dass die Gruppe bereit ist, diese Informationen aufzunehmen. Es ist Aufgabe des Gruppenleiters dafür zu sorgen, dass relevante Inhalte bearbeitet und auf geeignete Weise präsentiert werden. Es ist ebenfalls Aufgabe des Gruppenleiters dafür zu sorgen, dass die Gruppe dem Vortragenden offen und aufmerksam begegnet.

  

II. Relevante Informationen beschaffen und aufbereiten

Relevante Informationen können aus vier Bereichen stammen:

  • Der Einzelne führt ausserhalb der Gruppe Aktivitäten durch, die auch für die Gruppe interessant sein können (Hobbys).

  • Der Einzelne hat die Aufgabe bekommen, einen Teil des Lernstoffes aufzubereiten und im Plenum zu vermitteln.

  • Der Einzelne ist für die Gruppe organisatorisch tätig und hat in diesem Rahmen Informationen bekanntzugeben.

  • Der Einzelne hat Beobachtungen mitzuteilen, die auf der Ebene der Metareflexion angesiedelt sind und die Arbeit der Gruppe betreffen.

Wenn der Lernstoff in den Lehrmaterialien vorgegeben ist, bilden sich jeweils Zweipersonen-Teams, die einen Teil des Lernstoffes zur Aufbereitung und Vermittlung bekommen. Die entsprechenden Vermittlungstechniken werden im Rahmen der Methode "Lernen durch Lehren" erworben. Wenn der Stoff nicht vorgegeben ist, liegt es in der Verantwortung des Gruppenleiters, die Beschaffung und Aufarbeitung von interessanten Informationen anzuregen. Dies reicht von kleinen Recherchen im Internet über kurze Exkursionen bis hin zu umfangreichen Erkundungsprojekten, beispielsweise Auslandsreisen mit Interviews von Experten, die zu ausgewählten Themen Stellung nehmen. Die Gruppe kann mit einem Betrieb verglichen werden, in dem Wissensbausteine in Kleingruppen erstellt und nach einer didaktischen Reduktion an die Großgruppe weitervermittelt werden. Bei der Vermittlung spielen Präsentationstechniken eine zentrale Rolle.

   

III. Die Bereitschaft der Gruppe, die Informationen aufzunehmen

Auch wenn der Einzelne der Überzeugung ist, dass seine Informationen für die Gruppe interessant sind, wird er erst dann bereit sein, diese mitzuteilen, wenn er darauf vertrauen kann, dass sie aufmerksam und wohlwollend aufgenommen werden. Grundsätzlich empfiehlt es sich, eine ressourcenorientierte Haltung in der Gruppe aufzubauen. Jedes Mitglied ist potentiell Träger von relevanten Informationen, die von der Gruppe erschlossen werden sollten. Insofern gilt es, Hindernisse, die den Weg zur Information versperren, zu beseitigen:

  • Menschen äußern gerne Gedanken im Plenum, wenn sie die Attraktivität dieser Ideen im Zwiegespräch oder in der Kleingruppe getestet haben. Daher empfiehlt es sich, immer wieder kurze Partnergespräche zu ermöglichen, bevor Themen im Plenum besprochen werden.

  • Menschen äußern sich dann gerne, wenn sie sicher sind, dass Fehler, ungeschickte Formulierungen, Verzögerungen im Sprechfluss nicht beachtet werden. Es liegt in der Verantwortung des Gruppenleiters, dass Mitglieder, die in Aussenseiterpositionen stehen, ihre Informationen ohne jede Störung (z.B. verhaltenes Lachen) vermitteln können. Es muss verdeutlicht werden, dass jedes Mitglied über wertvolle Wissensressourcen verfügt. In der Gruppe wird geübt, wie durch Selbstdisziplin kontraproduktive Reaktionen unterdrückt werden. Wenn es der Gruppe gelingt, kann es dazu führen, dass Aussenseiter durch ihre Erfolgserlebnisse zu konformerem Verhalten motiviert und schließlich voll integriert werden, was zu einer Stärkung der Gruppe führt.

  • Präsentationen stellen hohe inhaltliche und kommunikative Ansprüche an die betroffenen Teilnehmer. Daher empfiehlt es sich, Präsentationen oder Moderationen grundsätzlich im Zweierteam gestalten zu lassen. Jedes Mitglied erfährt Unterstützung, Beratung und Kontrolle durch das andere.

  • Der Gruppenleiter muss durch exakte Beratung dafür sorgen, dass die einzelnen Präsentationen inhaltlich und methodisch so angelegt sind, dass sie erfolgreich verlaufen.

Die Methode "Lernen durch Lehren" (LdL) liefert den Rahmen für eine erfolgreiche Kommunikation und Stoffvermittlung in Lerngruppen.


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