Reflexionen über meinen Unterricht in der 7.Klasse

Eintrag 3 (19.10.96)


Jean-Pol Martin

Der Stand nach 4 Wochen Unterricht:

Ich habe bereits beschrieben, daß die Klasse zu Beginn zwar nicht böswillig, aber sehr unruhig war. Da der Einsatz von LdL viel Disziplin und Konzentration von den Schülern verlangt, mußte ich zunächst mit schnellen Methoden die richtige Haltung erzeugen (Einsatz einer "5" zur Disziplinierung, schriftlicher Hinweis an die Eltern nach einer relativ kleinen Verfehlung). Da ich von Anfang an parallel zu diesen "repressiven" Maßnahmen den Schülern stets die Möglichkeit eröffnete, durch die Leitung einer Übung, das Halten eines Diktats usw. ein Lob von mir und die Anerkennung ihrer Mitschüler einzuholen, drängten die Kinder bald nach dieser Quelle und übernahmen bereitwillig immer mehr Aufgaben. Die Besucher (Seminare und Praktikanten) wundern sich über den Arbeitswillen und die Freundlichkeit dieser 7. Klasse. Ich sage: "Danke, LdL!" Wenn ich nicht die Möglichkeit gehabt hätte, die Schüler sehr schnell in diesen kollektiven, für sie attraktiven Lernprozeß einzubinden, hätte ich wahrscheinlich an dieser Klasse wenig Freude gehabt. Jetzt ist es sehr schön. Vor allem deshalb, weil diese Kinder miteinander eine pädagogisch-didaktische Reflexion führen und dabei gleichzeitig viel Französisch lernen, wie wenn Schauspieler ihre Texte allein durch die vielen Proben und Wiederholungen memorieren. Obwohl ich mich in dieser Klasse anfangs wirklich sehr unsympatisch verhalten habe, hat sich durch die gemeisame Arbeit an den Präsentationen relativ schnell ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis entwickelt. Unser Hauptanliegen ist es, daß die Präsentationen zügig und attraktiv verlaufen, was voraussetzt, daß wir immer noch relativ viel über technische Aspekte sprechen: "Was hätte noch schneller gehen können? Was war in der Präsentation überflüssig...?"

Wenn ich die im theoretischen Teil meines Tagebuchs dargestellte Gehirnmetapher aufgreifen und auf die Klasse anwenden darf (die Klasse als "Gehirn"), so sind die einzelnen Schüler (als "Neuronen") im Rahmen der klasseninternen Methodendiskussion in vielfacher Interaktion getreten. In der Klasse ist die zentralisierten Struktur aufgebrochen und es entsteht ein neuronales Netz. Ein positiver Effekt ist, daß die Klassenstärke von 30 sich auf diesem Hintergrund in ein Positivum umkehrt: 30 Neurone bringen mehr Denkproduktion zusammen als nur 18 oder 20. Anmerkung zum Vorwärtskommen mit dem Stoff: Vom Stoff her liege ich zeitlich ganz gut. Nach vier Wochen ist die 2. Lektion von Echanges schon längst abgeschlossen, die Inhalte der 3. Lektion wurden auf die 30 Schüler aufgeteilt und liegen abrufbereit. Die ersten Grammatikpräsentationen haben schon stattgefunden. Sie waren zwar sorgfältig vorbereitet und ansprechend, für meine Begriffe aber noch nicht straff genug, weil viel Überflüssiges vorgestellt wurde. Wir haben es besprochen und ich bin gespannt, ob die nächsten Präsentationen zügiger ablaufen.


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