Der folgende Text ist eine Zusammenfassung der Abläufe an der Schule von Beginn meiner Amtszeit im Sinne einer „Inneren Schulreform“


1. Der Beginn

Als ich Anfang Januar 1994 meinen Dienst als Schulleiterin an der Kraichgau-Realschule antrat, tat ich dies mit dem Vorsatz, zunächst zu schauen, alle und alles kennenzulernen, viele Gespräche zu führen, Vertrauen zu gewinnen und vorsichtig zu sein mit voreiligem, zu schnellem Handeln.

Die Schule ist mit inzwischen 800 Schülerinnen und Schülern sowie 50 Lehrerinnen und Lehrern die größte im Schulamtsbereich Heidelberg, dem wir angehören. Sinsheim gilt als große Kreisstadt mit zwölf zugehörigen ländlichen Gemeinden. Das heißt, trotz der Größe haben die Schülerinnen und Schüler einen eher dörflichen als städtischen Hintergrund. Entsprechend großes Interesse bringen die Eltern der schulischen Arbeit entgegen. Das Kollegium ist mit einem Durchschnittsalter von knapp unter 50 eher „alt“, sieht sich auch oft so. Es gibt wenig Fluktuation, die Kolleginnen und Kollegen fühlen sich der Schule verbunden und wollen nicht etwa versetzt werden. Viele sind auch mit der Gemeinde verwurzelt.

Da ich persönlich mein Handeln an meinem theoretischen Wissen orientieren möchte, um es einzuordnen und „in der Spur“ zu bleiben beziehungsweise den eingeschlagenen Weg aufgrund von praktischen Erkenntnissen ímmer wieder zu revidieren, habe ich für mich selbst - auf der Grundlage meiner bis dahin gewachsenen Kenntnisse und Überzeugungen - aufgeschrieben, welche Handlungsfelder ich der schulischen Arbeit zuordne. Dies geschah im Februar 1994:

Dieses Konzept habe ich in einer Gesamtlehrerkonferenz dem Kollegium vorgestellt, zur Diskussion gestellt und um Unterstützung dieser Ideen/Ideale gebeten.

Mein Hauptziel ist es - wie dies der baden-württembergische Bildungsplan vorsieht - , den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, und zwar alle Menschen, die in der Schule etwas miteinander zu tun haben. Deshalb habe ich - zuächst für mich selbst , dann aber mit Kollegium, Eltern- und Schülerschaft immer wieder besprochen - mein eigenes Menschenbild reflektiert. Ausgehend von den individuellen Bedürfnissen bin ich davon überzeugt, daß Schule dem Rechnung tragen muß, daß Menschen sich sicher, anerkannt, geliebt, wertgeschätzt fühlen müssen, um zu ihrem eigenen Selbst zu gelangen und dies zu stabilisieren. Dem steht die traditionelle Schule oft entgegen; also müssen hier Grundüberlegungen zum Umgang miteinander immer wieder einsetzen.

Im weiteren sind es die kognitiven Instrumentarien beziehungsweise Kategorien, mit denen Menschen ausgestattet sind, um sich die Welt zu eigen zu machen, was für die Schule - ihrem Auftrag gemäß - eminent wichtig ist. Diese Instrumentarien müssen wir kennen und sie auf der Basis der menschlichen Bedürfnislage „trainieren“, damit sie zum immer wieder stattfindenden und fortlaufenden Lernen verhelfen.

Hinzu kommt als weitere Überlegung, daß wir einen Paradigmenwechsel auch im Bildungsbereich haben und für die Zukunft den „explorativen Menschen“ brauchen, der in der Lage ist, sich immer wieder neu auf Neues einzulassen und das für das Individuum Unbestimmte zu klären und in den eigenen geistigen Horizont einzugliedern, ohne dabei Ängste vor Unsicherheiten zu haben. Um die Entwicklung „explorativen Verhaltens“ zu stützen, ist die Entwicklung von Teamarbeit - als „Sicherheitsgarant“ im emotionalen Bereich sozusagen - unerläßlich und deren Entwicklung ein methodisches Prinzip.

Gerade dieses Ziel der Teamentwicklung war mir sehr wichtig; deshalb habe ich auf Kommunikation, Kenntnissen darüber und Möglichkeiten ihrer stetigen Ausübung großen Wert gelegt, wobei es mir besonders wichtig war, die verschiedenen Personengruppen immer wieder zusammenzubringen und Gesprächsmöglichkeiten im Sinne „runder Tische“ zu schaffen.

2. Konkrete Handlungsschritte

Im Rahmen der Vorüberlegungen (Orientierung an den Grundbedürfnissen des Menschen/Veränderter Bildungsbegriff/Entwicklung von „explorativem Verhalten“ - unterstützt durch Teamentwicklung) wird die Arbeit in der Schule gesehen und vorangebracht.

Dazu zählen die Bereiche UNTERRICHT, ERZIEHUNG, VERWALTUNG und der umfassende Bereich der KOMMUNIKATION. Diese Bereiche sind in der Schulrealität als vernetzt und komplex zu sehen. Ebenso sollen die Personen im Sinne des Anstrebens von Reversibilität partnerschaftlich und gleichberechtigt gesehen werden, weshalb hier viele Möglichkeiten heterogener Arbeitsgruppen geschaffen werden müssen.

Was also ist geschehen an unserer Schule, um diese Ideen umzusetzen?

Im Bereich von Unterricht und Erziehung (oder „Erziehendem Unterricht“):

  • Reflexion des neuen Bildungsplans (Vorbereitung durch eine Arbeitsgruppe von Kolleginnen und Kollegen für eine GLK) und Teilen davon in Gesamtlehrerkonferenzen, Fachkonferenzen, Klassenlehrerkonferenzen und Elternabenden oder Elternbeiratssitzungen.
  • Schulinterne Lehrerfortbildung (inzwischen grundsätzlich in Teams): Kolleg/innen besuchen Akademieveranstaltungen bedarfsbezogen, z.B. Freiarbeit für die Gruppe, die das für dieses Schuljahr vorbereiten wollte und inzwischen als „Klassenteam“ mit dieser Methode arbeitet; Experten werden eingeladen und gestalten eine Fortbildung für die Kollegengruppen, die den Bedarf anmelden, z.B. mehrere Nachmittage an der Schule im Fach Bildende Kunst für neue Lehrplanbereiche. Ein Pädagogischer Tag hat schülerorientierte Unterrichtsmethoden sehr unkonventionell thematisiert, und zwar durch „learning by doing“, gestaltet durch zwei Theaterfachleute. Fortbildungsveranstaltungen an Samstagen, z.B. LdL (Lernen durch Lehren) mit Unterrichtspräsentationen unter Einbeziehung von Eltern und anderen interessierten Externen. Ein gemeinsames Fortbildungswochenende einer Lehrer-Eltern-Schülergruppe zum Thema: „So wünschen wir uns unsere Schule“; die Arbeit wurde an Abenden in der Schule fortgeführt; die Gruppe versteht sich als Schulentwicklungsgruppe. Ich selbst stehe in engem Kontakt zu PD Dr. habil. Jean-Pol Martin, der seit etwa 17 Jahren an der Universität Eichstätt das didaktische Konzept LdL („Lernen durch Lehren“) entwickelt und wissenschaftlich begründet hat; wir wollen dieses Konzept - ausgehend vom o.g. Menschenbild - auf die Schule als System übertragen im Sinne einer Demokratisierung.
  • In Gesamtlehrerkonferenzen werden unterrichtlich relevante Themen immer wieder thematisiert, an den Teilnehmern orientiert, aber auch neue Ansätze als Impulse eingegeben. Konstruktive Kritik ist dabei wichtig, um eingeschlagene Wege zu reflektieren, zu überprüfen und eventuell zu korrigieren. Die Leitung der Schule verstehe ich dabei sozusagen als Projekt, bei dem alle Beteiligten jederzeit gefragt sind, mitbestimmen sowie mitverändern können und dazu ausdrücklich aufgefordert sind. Es gibt nie einen endgültigen festgelegten Weg, angesichts stetiger Veränderungen muß Schule jederzeit auch offen bleiben für Korrekturen. Das heißt allerdings trotzdem, daß wir „in der Spur“ bleiben und ein Konsens immer wieder neu gesichert werden muß.
  • Wichtige Gremien für alle Entscheidungen sind die Schulkonferenz sowie die sogenannten „Klassenstufenkonferenzen“ mit Klassenlehrer/innen, Schülervertrer/innen sowie Eltern. Letztere sind als pädagogisch orientierte „runde Tische“ zu verstehen, bei denen unter aktueller Themenstellung alle Beteiligten - insbesondere die Schülerinnen und Schüler - zu Wort kommen und zur Mitsprache aufgefordert sind. Derzeit bereite ich zusammen mit Schüler/innen der 7. Klassenstufe eine Klassenstufenkonferenz vor, wobei es mir darauf ankommt, die betreffenden Schüler/innen zur Leitung dieser Konferenz zu befähigen. Ziel ist es, die Schüler/innen darin zu üben, auch auf der Meta-Ebene mitzudenken und mitzuhandeln.
  • Wesentlich ist die Beteiligung der Eltern. Regelmäßig werden Elternvertreter in Gesamtlehrerkonferenzen oder zu Fortbildungveranstaltungen mit eingeladen. So zum Beispiel gibt es auf Vorschlag eines Kollegen eine Arbeitsgruppe „Stundenplanentwicklung/Innere Schulorganisation“; daran sind auch Eltern beteiligt, ebenso die Schulbehörde sowie der Schulleiter einer Nachbarschule, ebenso die Schülersprecher/in. Umgekehrt werden Lehrer/innen zu Elternbeiratssitzungen eingeladen und können ihre Vorstellungen darlegen und mit Eltern diskutieren. Es gibt inzwischen aus dem Elternbeirat einen „Bauausschuß“ zur Unterstützung eines Schulhauserweiterungsbaus; ebenso gibt es eine SMV-Kontaktgruppe, damit Eltern und Schüler/innen miteinander in kleineren Arbeitsgruppen ins Gespräch kommen. Wir arbeiten derzeit an der Entwicklung eines Projekts „Eltern als Experten in die Schule“ - hier im Rahmen der Berufsorientierung. Ein Kollege hat aus eigenem Antrieb ein Konzept dazu entwickelt, ein Vorgespräch mit Eltern bereits geführt und wird noch im Dezember einen Samstagvormittag zusammen mit Eltern eine „Berufsorientierung“ durchführen, bei dem in einer Art Lernzirkel die Schüler/innen verschiedene Berufsbilder kennenlernen können, die durch die „Eltern-Experten“ vorgestellt werden. Im Frühjahr kommenden Jahres wird der Elternbeirat ein Wochenendseminar durchführen zum Thema „Kommunikation mit der Schule - Gesprächsführung mit Lehrer/innen - Gestaltung von Elternabenden“. Eltern und Schüler/inne der 9. Klassen betreuen auch zum Beispiel während der mündlichen Abschlußprüfung durch das Angebot einer „Cafeteria“ die Prüflinge. Ebenso gibt es inzwischen „sozialverträgliche“ Vorschläge aus der Elternschaft bei Konfliktfällen; eine Familie hat sich zum Beispiel bereiterklärt, regelmäßig einmal in der Woche einen Schüler bei sich aufzunehmen und am Familienleben teilhaben zu lassen, der nachmittags auf sich alleingestellt ist und dadurch in der Schule große Probleme macht. Ich finde es bemerkenswert, daß Eltern von sich aus einen so hilfreichen, konstruktiven Vorschlag machen und damit quasi Erziehungshilfe leisten.
  • Ein weiterer Schwerpunkt ist die Schülermitverantwortung. Hier finden neben regelmäßigen Gesprächen mit der Schulleitung für jede Klassenstufe Vollversammlungen statt, damit alle Schüler/innen mit-machen und mit-verantworten können. Daraus gehen Ausschüsse hervor, derzeit 150 von 800 Schüler/innen. Mein Wunsch ist es hier, dies noch intensiver als bisher auch auf unterrichtliche Belange auszudehnen und Schüler/innen stärker in diese gewichtige schulische Aufgabe einzubinden.

Im Bereich der Verwaltung:

Hier muß vorausgeschickt werden, daß ich ein äußerst geschlossenes hierarchisches System vorgefunden habe, bei dem das Kollegium keine Kenntnis von Stundenplan, Verteilung von Verwaltungsstunden oder Verwaltungsabläufen hatte und auch keine Zustimmungspraxis bei Etatfragen bestand. Deshalb ist womöglich das folgende an anderen Schulen oder in anderen Bundsländern längst selbstverständlich.

Ziel ist Transparenz und Mitbeteiligung möglichst aller Kolleginnen und Kollegen, also eine flache Hierarchie und Verteilung der Kompetenzen, die Demokratisierung der Schule mit möglichst breitem Konsens.

Dazu ergaben sich innerhalb von zwei Jahren folgende Änderungen:

  • Offene Besprechungen der Deputatsverteilung, der Verwaltungsstundenverteilung, des „Stundenplaninputs“; Interessengegensätze besprechen und Einigungen aushandeln.
  • Beteiligung von Klassen-Kollegenteams an der Stundenplangestaltung mit dem Ziel, mittel- und langfristig dezentrale Teams mit eigener Planungskompetenz auszustatten, zum Beispiel im Klassenstufenbereich.
  • Kollegen haben inzwischen eigene Konzepte eingebracht, wie zum Beispiel vom starren Stundenplan weg mit einer „Budgetierung“ von Jahresstunden gearbeitet werden kann; hier liegt der Vorschlag eines Sportkollegen zur Verwendung der dritten Sportstunde vor (Vgl. Anlage Herr Christ). Ebenso hatten Kollegen von Deutsch, Bildende Kunst und Musik eine Fortbildung mit einem Referenten einer landeseigenen Musik-Kunst-Theater-Akademie, die Lehrgänge auch für Schüler/innen anbietet, innerhalb derer Lehrplaneinheiten zum Beispiel eine Woche lang durchgeführt werden können. Diese Stunden lassen sich aus dem regulären Stundenplan herauslösen und als Gesamtkomplex workshopartig durchführen. Auf Wunsch kann dies im nächsten Schuljahr bereits so gemacht werden.
  • Die Schulverwaltung wird partnerschaftlich eingeladen und eingebunden; dabei sehe ich die Vertreter/innen der Behörde in beratender, nicht in kontrollierender Funktion, da ich dies nicht mehr für zeitgemäß halte. Ich möchte es zur „Normalität“ werden lassen, daß Schulverwaltungsbeamte an der Schule anwesend sind und nicht als „Kontrolleure“ verstanden werden.
  • Wir planen für das Frühjahr 1996 ein Lehrer-Eltern-Schüler-Seminar an einem Wochenende zum Thema „Stundenplanentwicklung/Innere Schulorganisation“. Hier sollen kurz-, mittel- und langfristige Leitlinien ausgearbeitet werden. Das Interesse daran ist im Kollegium sehr groß. Es geht vor allem auch darum, wie wir uns bei knapper werdenen Ressourcen innerschulisch -möglichst kreativ und entlastend - behelfen können (Vgl. Anlage „Entlastungsmöglichkeiten..“).

Im Bereich der Kommunikation:

Dies ist ein besonders wichtiges Thema, da es alle anderen Bereich umfaßt und für die Teamentwicklung unerläßlich ist.

Daran wurde und wird wie folgt gearbeitet:

  • Pädagogische Konferenz und Klassenlehrerkonferenz zum diesem Thema - Reflexion von Kommunikationsmodellen und deren Bedeutung für die Schule.
  • Gemeinsame Eltern-Lehrer-Schüler-Fortbildung zum Thema, durch Eltern geleitet.
  • Arbeit an der veränderten Gestaltung und Kommunikationsstruktur von Elternabenden.
  • Einbindung von Eltern und Schüler/innen in alle Lehrergremien und häufig das Angebot heterogen besetzter „runder Tische“.
  • Offenheit und Kritikbereitschaft der Schulleitung/Angebot der „offenen Tür“ durch die Schulleitung (hierbei muß ich gestehen, daß ich mich intensiv darin übe, Kritik zu fordern und sie auszuhalten, ohne etwas persönlich zu nehmen, was durchaus ein wichtiges Lernfeld auch für mich ist).
  • Gesprächskreise, geleitet durch die Elternbeiratsvorsitzende, zum Beispiel für die neuen Elternvertreter/innen der fünften Klassen.
  • Vorstellung unseres Modells der Teamentwicklung bei einem Kongreß, zu dem die Kultusministerin Dr. Schavan sechs verschiedene Schulen/Schularten nach Stuttgart einlud. Als Vertreter der Realschulen stellten wir als Team (Schülersprecher, Elternbeiratsvorsitzende, Kollege, Konrektor, Schulleiterin) unsere Arbeit und unsere Vorstellungen vor. Dabei war die professionelle Kompetenz unseres Schülersprechers, vor ca 300 Personen zu sprechen, besonders erfreulich (Vgl. Anlage „Tagungspapiere 11.11.95).

3. Probleme, Widerstände, Interessengegensätze

Es muß immer wieder betont werden, daß wir eine ganz normale Realschule mit normalen und allseits bekannten Problemen sind: Die Größe der Schule, die Klassengröße (zum großen Teil über 30 Schüler/innen pro Klasse), das Alter des Lehrerkollegiums, zunehmende Langzeiterkrankungen ohne Ersatz, schwierige, verhaltensauffällige Schüler/innen und in Einzelfällen überkritische, fordernde Eltern, ein beengtes Schulhaus mit Wanderklassen (ein großzügiger Erweiterungsbau ist allerdings geplant - das alles betrifft uns wie andere Schulen auch.

Ich selbst fühle mich stets wie bei einer Gratwanderung, bei der ich versuche, das „Gleichgewicht“ zu halten, das heißt für mich, daß ich meine eigene Mitte und überhaupt die Mitte zu halten und zu stabilisieren versuche. Der Gedanke des „Mittleren“ bzw. der „Mitte“ im aristotelischen Sinn erscheint mir dabei ausgesprochen hilfreich, dies habe ich auch bereits mit dem Kollegium besprochen, wie ich überhaupt meine Ideen und auch die „begleitende Gefühlslage“ immer wieder thematisiere. Ich möchte gerade dieses Amt bzw. diese Funktion nicht als einsamen Posten ansehen, sondern verstehe Führung als stetige Kommunikation und denke, daß „Führen durch Kommunikation“ (vgl. Siegmar Saul, Führen durch Kommunikation, Weinheim 1993) die einzig mögliche Form von demokratischer Leitung sein kann.

Dabei ist es häufig eine Integrationsarbeit, die zu leisten ist; Konflikt und Probleme liegen täglich auf meinem Tisch, es kommt darauf an, sie durch Gespräche und in Gesprächen zu klären und zu lösen. Dabei ist es mir wichtig, im Sinne des „Die Sachen klären, die Menschen stärken“ (v.Hentig) Lösungen zu finden. Das heißt, Gefühle dürfen nicht ausgeschaltet, sondern sehr ernsthaft einbezogen werden, denn wenn sie nicht geklärt sind, können Sachen nicht zur Sprache kommen und Konflikte nicht gelöst werden. Deshalb ist Wissen über und Training im Bereich der Kommunikation so bedeutsam.

Wichtig ist auch, sich in der Schule die Notwendigkeit des „Immer-wieder-neu-anfangen“ klarzumachen. Wir leisten täglich neu Sysiphos-Arbeit; nun hängt es stark davon ab, wie wir Sysiphos sehen- als tragischen Menschen oder, wie die Existentialisten es sehen, als glücklichen Menschen, der deshalb zu beneiden ist, weil er in der Lage ist, immer wieder auf eine Weise neu anzufangen, als ob ihm nicht bewußt wäre, daß der Stein kurz vor dem Ziel wieder herunterrollt.

Dies ist aus meiner Sicht ein „Handicap“ im Lehrerberuf, daß wir alle die Frustrationen, die wir zweifellos erleben, nicht nur nicht aushalten, sondern im Laufe der Zeit schlechtestenfalls „routiniert“ zwar jeden Tag neu, aber womöglich schlechter, mit weniger positiver Anstrengung an die Arbeit gehen - in dem Bewußtsein, der Stein fällt sowieso wieder herunter. Sich die Sicht des Sysiphos zu erhalten, ist, so meine ich, eine sehr wichtige anzustrebende Perspektive.

Wahrgenommen habe ich, daß Lehrerinnen und Lehrer auf meine Impulse erstaunlich positiv reagiert haben; das zeigte ich an Zustimmungen in Gesamtlehrerkonferenzen, zum Teil mit sehr großer Mehrheit. Erstaunlich war und ist für mich immer wieder die Teilnahme an Veranstaltungen wie etwa das in die Freizeit fallende Wochenendseminar, was auf absoluter Freiwilligkeit beruhte.

Lehrerinnen und Lehrer sprechen auch zunehmend öfter ihre Kritik offen aus, zum Beispiel in Gesamtlehrerkonferenzen, wobei dies auch äußerst konstruktiv - etwa durch Verbesserungsvorschläge - geschieht. Dabei zeigt es sich immer wieder, daß die Kolleg/innen bereit sind mitzuarbeiten, vor allem wenn sie das Gefühl haben, ernstgenommen zu werden und ihre Ideen ausführen zu können. Freiräume für Lehrer/innen sollten großzügig bemessen sein; jeder sollte das Gefühl haben, eigene Entscheidungen treffen und Ideen einbringen zu können.

Wesentlich ist es auch, eine Fehlerkultur zu entwickeln. Wo sonst, wenn nicht in der Schule, dürfen Fehler gemacht werden. Schule muß für Kinder und Jugendliche immer auch ein „Übungsfeld“ sein; das geht nur, wenn Fehler gemacht werden können. Aber auch Erwachsene sind nicht perfekt. Ich selbst lehne es ab, ständig immer alles richtig machen zu sollen und für alles, was sich als falsch herausstellt, die Verantwortung zu übernehmen.

Zusammenfassend kann ich sagen, daß zunehmend Ideen und Konzepte aus dem Kollegium, von Schüler/innen und aus der Elternschaft kommen, für deren Umsetzung ich dann sorgen muß, so daß ich mich selbst nicht immer als den „Motor“, sondern vielmehr als den Moderator/Koordinator verstehen kann. Wir sind hier auf dem Weg und keineswegs perfekt oder gar fertig, was nie der Fall sein kann, wenn Schule als Projektarbeit verstanden wird.

Dennoch muß durchaus kritisch angemerkt werden, daß wir die politischen Entscheidungen sehr zu spüren bekommen, daß es kaum Sinn macht, nur zur „neuen Ufern“ anzuregen und innovative Lösungen einzufordern, wenn nicht gleichzeitig auch - wenn es auch nur in Maßen möglich ist - an die zunehmenden Schwierigkeiten gedacht und politisch darauf reagiert wird. Das kostet eben auch Geld und geht nur mit wenigstens stabilen Rahmenbedingungen. Innerhalb des Rahmens lassen sich eine Menge sinnvoller Dinge tun, und Reformen der alten Strukturen sind dringend erforderlich, aber der Rahmen muß politisch realistisch gesteckt werden. Lehrer/innen fühlen sich oft allein gelassen mit der Aufgabe, die heranwachsende Generation zu erziehen und auf das 21. Jahrhundert im Sinne einer professionellen Handlungskompetenz vorzubereiten.


Dr. Margret Ruep, Stiftstr. 20, Kraichgau-Realschule, 74889 Sinsheim