LdL-Kontaktbrief Nr. 164 (Jg. 29)
Betreff: LdL-Kontaktbrief Nr. 164 (Jg. 29)
Sendungsdatum: 2015-10-31 22:42:56
Ausgabe #: 11
Inhalt:

LdL-Kontaktbrief Nr. 164 (Jg. 29) vom 31. Oktober 2015

Liebe LdL-Freunde,

schon längere Zeit ist kein Newsletter mehr erfolgt. Sehr viel Austausch erfolgt derzeit über die Facebook-Gruppe “Lernen durch Lehren”:

https://www.facebook.com/groups/484167501636333/

Von Laura Cau ist ein Artikel in der Zeitschrift “Pädagogik” (Ausgabe 2/15) erschienen: “Lernen durch Lehren – ganz konkret: Erprobung eines herausfordernden Konzepts im Fremdsprachenunterricht”:

http://www.beltz.de/fachmedien/paedagogik/zeitschriften/paedagogik/article/Journal.html?tx_beltz_journal[article]=29708&cHash=5626fcba84d6aaa53dbdd6d80136615a

Zwei YouTube-Hinweise:

https://www.youtube.com/watch?v=qltH76VOGb0 (LdL im Fach Bildende Kunst)

https://www.youtube.com/watch?v=7byVx0Oa2Bk (LdL mit Schülervideos)

Ein Veranstaltungshinweis: Vor einigen Monaten hat Isabelle Schuhladen Le Bourhis eine beeindruckende Fortbildung mit ihrer Klasse gehalten.

http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg-land/Wenn-Meitinger-Schueler-zu-Lehrern-werden-id33131952.html

Jetzt wird sie am 02.12. eine regionale Lehrerfortbildung an der Max-Josef-Metzger-Realschule Meitingen anbieten.

Viele Leser werden die letzten Monate auf irgendeine Weise mit der Flüchtlingsthematik befasst gewesen sein. So erging es auch mir. Als Sprachwissenschaftler wollte ich hier gerne ein Sprachangebot machen. Und es stellte sich mir die Frage, ob LdL angewandt werden könnte, wenn die stark heterogenen Sprachlerner über keinerlei Vorkenntnisse verfügen und auch keine gemeinsame Brückensprache vorhanden ist. Man ist quasi zur Einsprachigkeit gezwungen, selbst wenn man im Sinne der aufgeklärten Einsprachigkeit Butzkamms eine Brückensprache zur effizienteren Sprachvermittlung gerne anwenden würde. Meine bisherige Erfahrung ist, dass unter diesen Bedingungen der Sprachanfangsunterricht einer besonders wohlüberlegten Komposition aus Pantomime und Sprechweise bedarf, bei der zunächst kein typisches LdL sinnvoll scheint, bei dem diese Aufgabe an einen Lerner übertragen wird. Der Lerner müsste den Stoff ja auch erst einmal verstehen. Man müsste vorher eine sehr intensive Vorbereitung mit dem Lerner-Experten machen – je nach Gruppenzusammensetzung und Rahmenbedingungen ist es unökonomisch oder einfach nicht durchführbar. Der Lehrkraft kommt also eine zentrale Rolle bei meinem neuen Konzept zu. Dieses Konzept, das wir im Europäischen Haus Pappenheim entwickelt haben, nennen wir “Sprach-Not-Arzt”:

http://www.sprach-not-arzt.de.

Wer meinen Unterricht hospitiert oder die Clips schaut, wird auf den ersten Blick nicht das sehen, was er von LdL erwartet: alles wirkt linear a priori, kaum wirklich dialogisch oder “polylogisch” und aufgrund des Durchziehers durch die deutsche Grammatik wenig reduziert an Komplexität. Tatsächlich liegt dieser Methodik jedoch die LdL-Theorie zu Grunde. Denn das Ziel ist die Kontrolle über die Sprache, die eigene Sprachkompetenz. Wenn ich ohne Rückgriff auf eine Brückensprache eine Sprache lehren oder lernen muss, ist das eine hochkomplexe und hoch chaotische Angelegenheit. Um diese Komplexität zu reduzieren, muss die Präsentation des neuen Stoffes eine wohlüberlegte Reduktion der Komplexität vornehmen. Die bestimmte Abfolge der Lernstoff-Portionen bedeutet allerdings noch nicht, dass das Verständnis dann gleich linear abläuft. Die Lerner müssen Unbestimmtheit/Unschärfe eine Zeit lang aushalten. In den Köpfen der Lerner ergibt sich tatsächlich Linearität a posteriori. Aber nur durch die vorherige Komplexitätsreduktion wurde nun die Linearität a posteriori ermöglicht. In meinen Schulungen für Lehrkräfte verstehen die Teilnehmer das bei einer kleinen Demonstration zum Ungarisch-Lernen. Das Konzept beinhaltet auch nicht, dass die Lerner passiv sind. Im Gegenteil: Sie sind ständig gefordert, Sätze zu produzieren. Aber die Führung durch die erfahrene Lehrkraft ist sehr wichtig, wenn man schnell zu dem Punkt gelangen will, an dem immer mehr Vermittlungsaufgaben übertragen werden. Und es werden dadurch auch Flow-Effekte/Glücksgefühle bei den Lernern ermöglicht: “Toll! Schon nach 4 Stunden können wir Namen, Heimatland, Heimatort, Wohnort, Sprachkenntnisse über uns und andere sagen und erfragen, Sätze mit Nominativ, Dativ und Akkusativ in Präsens und Perfekt bilden!” Die Vorgehensweise in der ersten Phase bedeutet auch nicht, dass überhaupt keine “Lehrer-Aufgaben” für Lerner mehr vorhanden wäre (und dass das anthropologische Menschenbild nicht mehr gälte). Die Übertragung der Lehrer-Rolle gibt es in folgenden Situationen: (1) Wenn ein Lerner in einer Muttersprachler-Gruppe etwas eher als die anderen verstanden hat (ein Wort oder eine Struktur), darf/soll er es den anderen in deren Muttersprache vermitteln dürfen, wobei ich darauf achte, dass dies nicht in Plauderei ausartet (beim eigentlichen Üben ist dagegen keine Unterstützung erlaubt; jeder Lerner wird von mir soweit gebracht, dass er selbst einen gesuchten Satz formulieren kann und somit ein Glücksgefühl verspürt); (2) Wiederholungsaufgaben in Form von Frage-Antwort-Sequenzen lassen sich gut übertragen. Wenn man so will, ist es “LdL light”. Innerhalb von 3 Tagen à 7 Stunden bzw. 6 Halbtagen à 4 Stunden vermitteln wir das Gesprächskompetenzen für die wichtigsten Situationen. Sobald dieses Mindestmaß an Sprachkompetenz erreicht ist (und nur die steht in diesem Anfangsstadium für mich im Vordergrund), können die Lerner immer stärker für Lehraufgaben herangezogen werden, also in einen typischen LdL-Unterricht geführt werden (und in dem auch andere als sprachliche Kompetenzen im Zentrum stehen) (nach 40-60 Stunden sind die Lerner schon auf Niveau A1). Das Lehrbuch – mit englischen oder arabischen Hinweisen – sowie weitere Materialien finden sich auf der genannten Webseite.

An Universitäten scheint gerade ein neues Zeitalter anzubrechen: Qualitativ hochwertige und faire Hochschullehre wird erschwert, stellenweise sogar unmöglich gemacht. Es wird schwerer, LdL durchzuführen, wenn die Anwesenheit völlig freigestellt ist, wie es jetzt der allgemeine Wunsch bei den meisten hochschulpolitisch Verantwortlichen zu sein scheint. Wenn dann auch keine Vor- und Nachbereitungszeit, also neben der Seminararbeit oder Klausur praktisch nichts anderes mehr verlangt werden darf (etwa in Portfolios im ursprünglichen Sinne), dann kann LdL an Unis letztlich nur so ablaufen, dass jede 90-Minuten-Einheit in sich abgeschlossen ist. Allerdings wird auch die Vorbereitung für den Dozenten nicht einfach, wenn man nicht weiß, ob in der Sitzung nun 3, 13 oder 30 Teilnehmer sitzen. Für die Vermittlung von diskursiven Kompetenzen ist dies ein nicht zu gering schätzendes Problem. Man kann nun fragen, ob dies in die Reihe von Aktionen fällt, die die Kompetenzen von Studierenden bewusst gering halten wollen, ob dies hingenommene Nebeneffekte sind, um kleinere Hörerzahlen und damit weniger Personalbedarf zu bekommen, oder ob die Folgen solcher Rahmenbedingungen einfach nicht bedacht worden sind. Manches spricht für ersteres, wenn man sich die teilweise massive Beeinflussung von Unterricht durch die Wirtschaft vor Augen hält von der etwa auf den Nachdenkseiten berichtet wurde:

http://www.nachdenkseiten.de/?p=28106

Die hochschuldidaktischen Qualitätssenkungen stellen eine neue Herausforderung für LdLianer da.

Schöne Grüße


Joachim Grzega

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