KÜFNER, Werner, Gemein 39, 95463 Bindlach, Tel.: 09208/57866 F/E Gy eMail: w.kuefner@t-online.de


Lieber Jean-Pol,

jetzt, da ich wieder einmal hochinformative Post von Ihnen bekommen habe, möchte ich mich doch einmal bei Ihnen melden und Ihnen gegenüber ein paar Gedanken lüften, die mich bezüglich LdL seit längerem umtreiben.

Zunächst jedoch vielen herzlichen Dank für die vielen Materialien, sei es auf dem Postwege oder aber übers Internet. Es macht Spaß, ein Neuron zu sein. Ich könnte nicht behaupten, daß ich alle Tips und Anregungen immer umsetze oder dies auch nur versuche, aber ich finde doch jedesmal wieder etwas Neues, was ich ausprobiere und was meinen Horizont erweitert sowie mein Erfahrungsbad nie kalt werden lässt.

Auch ich habe, wie Sie, dieses Jahr eine siebte Anfängerklasse in Französisch. Zusätzlich dazu ist mir sogar noch der Wunsch erfüllt und - als Newcomer - eine fünfte Klasse im Englischen anvertraut worden. Natürlich praktiziere ich dort LdL und es ist wohl überflüssig, Ihnen von meiner täglichen Hochstimmung bezüglich des Lernerfolgs und des Lernklimas zu berichten. Was mir nur diesmal besonders auffällt, ist die unglaubliche Eigendynamik, die sich entwickeln kann, wenn man einen unauffällig gesteuerten, interaktiven Unterricht betreibt. Die sich zwangsläufig ergebende, aufgeklärte Einsprachigkeit ist, wie gesagt, ein "Neben"produkt von LdL. Die Schüler trauen sich selber in dem Maße mehr zu, wie ihnen mehr zugetraut wird und sie dabei viele kleine Erfolgserlebnisse verbuchen können.

(...) Ich schreibe Ihnen, weil ich glaube, daß es ein großes LdL-Hindernis an den Schulen gibt, welches in die Hirne vieler Kollegen genauso hineinzementiert worden ist wie ein Fußballtor auf einen Sportplatz und deswegen dort auch dieselbe Rolle spielt, nämlich die der Unabdingbarkeit. Die Rede ist von dem Übungsteil der Lehrbücher und von den Carnets und von all den anderen Materialien, die umso sinnloser und überflüssiger sind, je mehr davon erscheinen. Ich kenne eine ganze Latte von Kollegen, die an ihren Unterricht recht, wie soll ich sagen, recht positivistisch herangehen, will heißen, die den Erfolg oder den Umfang ihrer Tätigkeit an der Zahl der absolvierten Übungen festmachen. Alle Übungen, oder möglichst alle, müssen gemacht werden, dann kann man darauf verweisen und sagen: Da bitte, das habe ich gemacht, das hat die Klasse geleistet. Wenn man solchen Kollegen, die genauso engagiert und mit Herz an ihrem Beruf hängen, wie ich dies zu tun glaube, von LdL erzählt, rekurieren sie unweigerlich auf das Zeitargument und lehnen dankend ab.

Sie können sich nicht vorstellen, dass es sinnvoll sein kann, am Anfang relativ viel Zeit auf das Heranführen an die Methode zu verwenden. Schließlich und endlich würde dies auch nur auf Floskelpaukerei hinauslaufen.Sie lassen sich auch nur schwer plausibel machen, dass sich diese Investitionen auszahlen und durch die oben erwähnte Eigendynamik viele Übungen überflüssig werden, weil sie die Schüler schlichtweg langweilen und unterfordern. Auch ich selbst, und das gibt mir zu denken, ertappe mich manchmal dabei, schnell noch eine Übung durchzuhecheln, anstatt die vorgehende Übung ausführlicher zu gestalten. Anscheinend muss auch ich noch die von mir verbreitete These selber vollständig begreifen, dergemäß ein äußerliches Weniger oft ein inneres Mehr bedeutet. Dazu ist es aber unausweichlich, von dieser Buchhörigkeit abzukommen und endlich zu begreifen, daß ein gutes Buch sich - meines Erachtens - in erster Linie durch gute Texte auszeichnet. Als einen guten Schülertext definiere ich einen Text, der bei einer angemessenen Steilheit lang genug ist, um von Anfang an die Freude am Lesen zu wecken, und der vor allem lang genug ist, um Leerstellen anbieten zu können, die die Schüler dann mit ihrer eigenen Phantasie ausfüllen. Hat man einen guten Text (von den es übrigens, das nur am Rande und ohne parteiisch sein zu wollen, in Etapes 1, mit dem ich arbeite, viel mehr gibt als in Découvertes 1), dann ergeben sich oft ganze Übungskomplexe von selbst! Vor allem was die zentrale Technik, Fragen zu stellen, angeht, lässt sich bei einem solchen Text viel früher und auf ganz organisch-natürliche Weise früher mit allen Fragepronomen arbeiten, als diese in den Lehrbüchern eingeführt werden.

Unterstufenschüler sind neugierig; Neugier setzt Energie, sprich Wissensbedürfnisse, also Fragelust, frei, die man dergestalt kanalisieren sollte, daß man Fragen zu Texten größeren Raum einräumt, als dies im Übungsteil von Büchern gemeinhin geschieht. Also: ich meine, man müsste verstärkt darauf hinweisen, daß Lehrwerke nur Vorschläge von Einzelunternehmen sind, die keineswegs in ihrer wohlgemeinten Länge und Breite durchpflügt werden müssen! Ich bin der festen Überzeugung, daß dann schülerzentriertes Arbeiten zwangloser möglich sein wird, ohnen dass ich als Lehrer ein schlechtes Gewissen haben muss, weilmein Kollege in der 7b pro Lektion fünf Übungen mehr seinen Schülern angedeihen lässt.

In meinen beiden Anfängerklassen sehe ich täglich, daß es hier die Menge eben nicht macht. Mit LdL schaffe ich eine Lust am Umgang mit der neuen Sprache, die manche Übungen glatt obsolet werden läßt. Allerdings, lieber Jean-Pol, muß ich in den Wein, den ich Ihnen gerade serviere, auch etwas Wasser giessen. In zwei parallelen zehnten Klassen (F) habe ich mit dem Versuch interaktiven Unterrichts nämlich mehr oder weniger Schiffbruch erlitten und es nicht geschafft, die Schüler aus ihrer gewohnten, lethargischen Anonymität herauszuholen. Trotz aller theoretischen Gewißheit und trotz aller Das-muss-doch-irgendwie-zu-schaffen-sein-Gedanken stellt sich mir hier die Frage, ob ich es nicht doch etwas mit dem Was-Hänschen-nicht-lernt-Phänomen zu tun habe...? Aber vielleicht ist das ja auch eine Frage der Zähigkeit und der Kompromissbereitschaft - oder Kompromisslosigkeit: je nach Sichtweise. After all, one lives and learns.

Jedenfalls bin ich mir sicher, daß LdL eine äußerst fruchtvolle Zukunft beschert sein wird. Weil es ein Teil einer Philosophie ist, mit der allein viele Probleme der Zukunft gemeistert werden können. (Klingt etwas hehr, oder?) Und nicht zuletzt, weil es solche Wahnsinnigen gibt wie Sie, die ihre ganze Kraft und Zeit und auch Geld in solch ein "Unternehmen" stecken.

(...) Ich drücke Ihnen weiterhin die Daumen, in der Gewißheit, daß ihre Ideen so oder so und in welcher Form auch immer rezipiert werden. Das Bundestreffen war dafür ja nur ein kleiner Beweis. Mit hat es sehr gut gefallen; allein Rüdiger Fischer ist immer das Kommen wert! Meine eigene AG war nicht so das Gelbe vom Ei, fürchte ich fast, weil ich mir so ziemlich alles falsch eingeteilt hatte und mir dann die Zeit davonlief. Ich hätte vom Inhalt her kürzen müssen und mich mehr auf den LdL-didaktischen Aspekt konzentrieren sollen. Was beim nächsten Mal allerdings eine Doppelstunde nötig machen wird. Naja, après tout, on n'a jamais fini d'apprendre! Mit vielen Grüßen

Werner Küfner

P.S.: Um auch einmal ein kleines Scherflein zu der Fülle nützlicher Materialien beizutragen, sende ich Ihnen in der Anlage einen Brief an eine achte Klasse (Winword 6.0, 11 kB), den ich im letzten Jahr verteilt hatte, um, nachdem bereits einige Wochen nach LdL unterrichtet worden war, noch einmal ganz gezielt das Wie und Warum dieser Methode angesprochen werden sollte.