In: Zielsprache Englisch, 3/99, S. 34

Rezensionen

Ch. Schelhass: Lernen durch Lehren. Für einen produktions- und handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht. Tectum Verlag, Marburg, 1997, 103 S., 39,80 DM.

 

Ein praktischer Leitfaden mit zahlreichen Unterrichtsideen und reichhaltiger Materialauswahl zur Thematik und vor allem aus der Praxis heraus entstanden - so überschreibt die Autorin ihr Büchlein. Angeregt durch vielfältige methodisch-didaktische Ansätze - auch aus der Reformpädagogik - und durch den von Martin daraus entwickelten Ansatz ,Lernen durch Lehren‘ beschäftigt sich die Autorin mit der Frage, ob sich die theoretisch angeführten Vorzüge tatsächlich in der Praxis zeigen. Mit ,Lernen durch Lehren‘ (LdL) und nur um diesen Ansatz geht es hier- soll laut Martin (Universität Eichstätt) erreicht werden, dass nicht mehr der Lehrer im Zentrum des Unterrichtsgeschehens steht. Der lehrerzentrierte Unterricht wird zugunsten aktiver Einbeziehung der Schüler aufgesprengt: "Die Fixierung auf eine Person als Wissensvermittler (Lehrer) wird zugunsten der Integration des Lehrers in die Gruppe der Lernenden verschoben. Die Schüler übernehmen Schritt für Schritt Funktionen des Lehrers, dem nun die Rolle des Beraters oder Spielleiters zuteil wird." (S. 14 ff.) Besonders betont Martin den "schrittweisen und systematischen Aufbau der didaktischen Kompetenzen der Schüler".

Schelhaas beginnt ihre Ausführungen mit einem unterhaltsamen ‚LdL‘-Krimi, der auf das veränderte Verhalten der Schüler, die für ein Jahr an der praktischen Erprobung dieses Ansatzes teilnahmen, hinweist. In einem der ersten Kapitel wird das ‚LdL‘-Konzept und seine Entstehungsgeschichte, andere pädagogische und methodisch-didaktische Konzepte seit 1850 im Überblick und gemeinsame Merkmale mit einigen von ihnen vorgestellt. So basiert das ,LdL‘-Konzept auf Prinzipien der Reformpädagogik und steht auch der Arbeitsschulbewegung und dem Projektunterricht nahe. Weitere enge Zusammenhänge finden sich mit dem ‚Tandem-Verfahren‘, dem Ansatz der Freiarbeit oder dem offenen Unterricht. 80% des Unterrichts soll durch dieses Verfahren durch Unterrichtsbeiträge von Schülerseite gestaltet und neue Lernstoffe aus Schülerperspektive beleuchtet werden.

Zur Erprobung wurden in einer 6. Klasse (25 Schüler) für das Fach Englisch und einer 7. Klasse (15 Schüler) für das Fach Französisch oder über ein Schuljahr hinweg kürzere oder längere lehrbuchgebundene oder am Lehrstoff orientierte ‚Projekte‘ durchgeführt, in denen die Schüler die Rolle des Lehrers übernahmen und Grammatik wiederholten, Wortschatz einführten und einübten, einen Lektionstext einführten oder Diktate von ihren Mitschülern schreiben ließen.

In einer fortgeschrittenen Stufe bauten Schüler eine Lehrbuchübung zu einem Sketch aus, schrieben den Text dazu, spielten ihn vor der Klasse vor und führten dabei auch neue Lexik ein.

Die jeweiligen Arbeitsschritte sind detailliert dargelegt, nachdem erste Aktivitäten für die Einführung von ‚LdL‘ überhaupt beschrieben wurden. Beachtenswert sind die 14 unterschiedlichen Diktatvarianten. Lücken-, Partner-, Schlüsselwörter-, Schlangen-, Code-, Schnipsel-, Jogging- oder Shoutingdiktate erfreuen sich ganz sicher auch im ‚normalen‘ Unterricht großer Beliebtheit.

Nach der detaillierten Dokumentation finden sich weitere ,Projekte‘, die sich – laut Verfassering nicht nur für den Anfangsunterricht und sowohl für den Englisch- als auch Französischunterricht nach diesem Ansatz verwirklichen ließen: Inhaltsverzeichnis zum Grammatikheft, Briefe an Natives, Wandbilder zu grammatischen Strukturen, phonetische Wörterrätsel, Hörspiele, lehrwerksabhängige Grammatikübungen, Kontrolle und Korrektur von Hausaufgaben und Diktaten oder Lückentexte. Eine tabellarische Übersicht über alle nach ,LdL‘ durchgeführten ,Projekte‘, gegliedert nach den Fremdsprachen und den Bereichen Phonetik, Grammatik, Wortschatz, Lektionstext und Sonstiges, beenden die Ausführungen zur Erprobung.

In der Auswertung finden sich dann nicht nur positive Elemente. Die Verfasserin erarbeitete einen Fragebogen für die Schüler, in deren Auswertung sich zeigte, dass die Schüler Spaß und Lernfreude hatten, die Verantwortung und die selbstständige Handlungsfähigkeit der Schüler gefördert und das Selbstbewusstsein gestärkt wurden.

Zu den Problemfeldern gehörten u. a. die Gruppengestaltung, der organisatorische Aufwand für den Lehrer (alle Materialien der Schüler mussten vorher durch den Lehrer korrigiert werden), der Zeitverlust im Unterricht (Schüler verloren leicht den Überblick, unruhige Atmosphäre), Fehleranfälligkeit und Probleme seitens der Schüler (mangelndes Sachwissen, teilweise falsche Erklärungen etc.).

Ebenfalls tabellarisch wurden die genauen Ergebnisse der Schülerbefragung festgehalten, wobei deutliche Unterschiede in den Antworten zwischen den Schülern der 6. und 7. Klasse festzustellen sind. Die von Kritikern oft als ‚Rollentausch mit Niveauverlust‘ bezeichnete Methode hat sich für die Verfasserin in kritischer Betrachtung durchaus als positiv bei häufiger, jedoch nicht ausschließlicher, Anwendung erwiesen.

Fazit: Wer mehr über diesen Ansatz wissen möchte, sollte sich dies Büchlein anschaffen oder sich an das von Dr. Martin initiierte schultypen- und fächerübergreifende Kontaktnetz an der Uni Eichstätt wenden.

Margitta Kuty

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