Werner Sprick / Memmingerberg: Wissenschaftliche Arbeit für die Diplomprüfung in Erziehungswissenschaft (Studienrichtung Schulpädagogik) an der Pädagogischen Hochschule Weingarten). 05.11.97. (Seiten über LdL)


3.2.5. Lernen durch Lehren

Die Methode des Lernens durch Lehren wird vielfach als effektive Lernart angesehen und wird deshalb in Tutor-Programme und in kooperative Lernformen integriert. Nach SIMONS (1992) bedeutet das Lernen, selbständig zu lernen, daß letztlich alle bisherigen Aktivitäten des Lehrenden vom Lernenden schrittweise übernommen werden (vgl. REETZ 1992, S. 8).

Ähnlich fordert dies CHOTT, der an einen neu gestalteten Lehrplan für die bayerische Grundschule die Forderung stellt, "daß in einem umfassenden Lehrinhalts- bzw. Lehrzielkatalog auch Kenntnisse, Erkenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten enthalten sein müßten, die auf eine didaktische Kompetenz beim Schüler abzielen" (CHOTT 1995, S. 347). Darunter versteht er diejenigen Lehrinhalte, die es dem Schüler ermöglichen, das didaktische Vorgehen des Lehrers zu verstehen und es für das eigene Lernen nutzbar zu machen. Durch die Begründungen des Lehrers zur Auswahl der jeweiligen Lehr-Aktivitäten soll dem Schüler auf der Meta-Ebene verständlich und nachvollziehbar werden, wie er künftig "sein eigener Lehrer" sein kann (vgl. CHOTT 1995, S. 347).

In der Untersuchung von RENKL mit Studierenden der Pädagogik wird die Bedeutung der bisherigen Lernerfahrung dabei deutlich. Ist der Lernstoff schwierig und haben die Lernenden keine Lehr-Erfahrung, löst die Anforderung, lehren zu sollen, erheblichen Streß aus, positive Auswirkungen auf die Lernprozesse und
-leistungen unterbleiben. Wenn dagegen die Erklärenden bereits über Lehr-Erfahrung verfügen, profitieren davon nicht nur die Zuhörer, sondern vor allem lernen sie selbst mehr (vgl. RENKL 1996, S. 1). Diese Erfahrungen mit Studenten in den ersten Semestern für das Lehramt weisen auf die Schlüsselposition der bereits vorhandenen Erfahrungen hin und legen den sukzessiven Aufbau nahe, der in einem selbstverstärkenden Kreislauf nicht nur die Lehrfähigkeit, sondern auch die eigene Lernfähigkeit vermutlich durch die erworbenen metakognitiven Erfahrungen verbessert.

Ein praxiserprobtes Modell des "Lernens durch Lehren", das diesen sukzessiven Aufbau erlaubt, liegt für die Fremdsprachendidaktik an Gymnasien von Jean-Pol MARTIN vor. Mit dieser Unterrichtsmethode wird versucht, durch die Gestaltung des gesamten Unterrichts als Projekt den Schülern schrittweise Funktionen des Lehrers zu übertragen, was aus der Perspektive meiner Arbeit vor allem auf den Erwerb metakognitiver Fähigkeiten zielt. MARTIN beschreibt diese Methode in Grundzügen folgendermaßen:

"Bei der Methode "Lernen durch Lehren" überträgt der Lehrer einen Teil seiner Aufgaben auf die Schüler. Insbesondere wird die Korrektur der Hausaufgaben, die Präsentation des neuen Stoffes und die Einübung desselben von Schülern geleistet. Der Lehrer verteilt die Arbeitsaufträge mit guter zeitlicher Vorgabe (eine oder mehrere Wochen), er unterstützt die Schüler bei ihrer Vorbereitung und korrigiert ihre schriftlichen Vorlagen. Im Unterricht selbst interveniert er remedial, wenn Unsicherheiten auftreten oder wenn neue Motivationsschübe notwendig sind. Bei LdL werden in der Regel die Inhalte herangezogen, die vom Lehrplan festgelegt und in den Lehrwerken aufbereitet sind.

Die Wahl der Methode LdL als Grundstruktur macht den gesamten Unterricht zum Projekt: das Erreichen aller im Lehrplan angegebenen fachspezifischen Ziele wird als Projektziel (Handlungsziel) der Lerngruppe vorgegeben. Auf dieser Grundlage werden die Wege gemeinsam festgelegt, die Arbeit wird aufgeteilt und es liegt in der Verantwortung aller, daß der Stoff erlernt wird" (MARTIN 1994, S. 69).

Seit Beginn der achtziger Jahre wuchs durch Lehrerfortbildungen, Veröffentlichungen und Verfilmungen initiiert ein "Kontaktnetz" mit derzeit fast 600 Lehrern, die mit "didaktischen Briefen" und Erfahrungsberichten versorgt werden und ihrerseits durch Rückmeldung über die Verwendung von LdL in ihrem Unterricht zum Ausbau des Erfahrungswissens über LdL beitragen. Dieses innovative Fortbildungskonzept erfährt derzeit die Ausweitung über das Internet und das E-Mail-System, wodurch eine schnellere Verbreitung von weiteren Erfahrungsberichten möglich ist, was der Bewegung auch als Aktionsforschung im Sinne von ALTRICHTER/POSCH (1990) neue Impulse verleihen kann. Als "Grasroot-Bewegung" mit einer stabilen, selbstgetragenen, lehreraktivierenden Fortbildungsstruktur entwickelt sie seit 1990 eine derartige praxisorientierte, von den Lehrern getragene Forschungsstruktur. MARTIN betrachtet das Modell "Lernen durch Lehren" inzwischen nicht mehr lediglich als Unterrichtstechnik, sondern als ein didaktisches Gesamtkonzept, das einen Beitrag zum Paradigmenwechsel in weiten Bereichen der Praxis liefert (vgl. MARTIN 1996, S. 70). Damit bezieht er sich auf die Lernerorientierung des Konzepts und die damit verbundene Handlungs- und Prozeßorientierung.

Welchen wissenschaftlichen Positionen läßt sich diese Methode des LdL zuordnen? MARTIN sieht sich als Methodiker innerhalb der Fremdsprachendidaktik, der zum einen die Alltagsrealität des Fremdsprachenlehrers aus dessen Perspektive wahrzunehmen und aus der Kenntnis des wissenschaftlich reflektierten methodischen Angebotes Problemlösungen zu erarbeiten hat. Sein Konzept geht von einem Lernerkonstrukt aus, das er auf der Grundlage von Einsichten aus der Kognitions-, Problemlöse- und Motivationspsychologie zusammenstellt, die auch in meiner Arbeit bereits referiert wurden. Seine subjektive Lernerbeschreibung rechtfertigt MARTIN durch die Zielsetzung, ein operationalisierbares, als heuristisches Instrument in der Praxis einsetzbares Modell aufzustellen, das für den Lehrer in der Unterrichtssituation nützlich ist (vgl. a.a.O., S. 42).

MARTIN legitimiert es also als pragmatisch, wenn er als ein im Feld, in der Schule arbeitender Methodiker für ein adäquates unterrichtliches Handeln im Rekurs auf verschiedene Wissenschaften ein anthropologisch begründetes Lernerkonstrukt selbst entwickelt, solange in den Bezugswissenschaften nur partikulare Erkenntnisse vorliegen, aber kein kohärentes Gesamtkonzept (vgl. MARTIN 1994, XII-XIII). Die vorfindbaren, subjektiven Lernermodelle bei Lehrern zeigen sich nämlich als sehr vereinfacht und bestehen aus nur wenigen Kategorien, wie SCHIEFELE/KRAPP (1981), HOFER (1981, 1986) und WEIDEMANN/KRAPP (1986) für die pädagogische Psychologie aufgezeigt haben (vgl. a.a.O., S. 31-42)..

MARTIN geht aus heuristischen Gründen davon aus, daß die Selbsterhaltung den wesentlichen Antrieb menschlichen Handelns ausmacht. Die Funktion des Lehrers wird in der edukativen Dimension deshalb darin gesehen, "den Nachwuchs auf die Lebensbewältigung vorzubereiten, also ihn in die Lage zu versetzen, die für ihn relevanten Lebensräume zu kontrollieren" (a.a.O., S. 43). In Anlehnung an die Entwicklungspsychologie nach OERTER (1987) wird die Gewinnung von persönlicher Kontrolle als Entwicklungsaufgabe gesehen, die auch Jugendliche vorzugsweise im Alter von etwa 14 bis 16 Jahren anstreben. Selbständig mit dem Leben fertig zu werden, eine eigene Meinung zu haben, Selbstsicherheit und Stabilität zu besitzen, zählen auch bei Hauptschülern als Beispiele für solche Zielvorstellungen (vgl. a.a.O., S. 44). Die MASLOWschen Grundbedürfnisse stellen für MARTIN die Manifestation des Kontrollmotivs dar. Zur Kontrolle dient die Kognition und ihre Instrumente, die als Gegensatzpaare wie z. B. Hilflosigkeit-Kontrolle, Chaos-Ordnung, Unbestimmtheit-Klarheit die Erscheinungen der Lebenswelt zu begreifen helfen. Da kognitive Verarbeitung besonders in Problemsituationen gefordert ist, bedarf der Lerner für ein hohes Kontrollniveau bestimmter Merkmale wie einer ausgebauten epistemischen und heuristischen Kompetenz, exploratives Verhalten, Abstraktheit, Extraversion und Selbstsicherheit. Diese Merkmale erfolgreicher Problemlöser stehen in einer selbstverstärkenden Wechselwirkung, die mit geeigneten unterrichtlichen Maßnahmen unterstützt werden sollten. Der von DÖRNER beschriebene Kreislauf, den ich im Kapitel zur Problemlösetheorie schon beschrieben habe, verknüpft die beiden Kompetenzbereiche mit der Tendenz zur diversiven Exploration, die ihm abstrakte Schemata über verschiedene Realitätsbereiche verschafft. Die erreichte Abstraktion verstärkt seine Distanzierungsfähigkeit und damit seinen Schutz vor dysfunktionalen Emotionen. Das Bewußtsein von vielen einsetzbaren Schemata erhöht sein Selbstbewußtsein, seinen Erfahrungsschatz und seine Explorationstendenz (vgl. a.a.O., S. 59).

MARTINs Modell des LdL verbindet also Elemente der Kognitions-, Entwicklungs- und Problemlösetheorie zu einem Lernerkonstrukt, dessen Lernerorientierung Nähe zur "konstruktivistischen" oder gar "radikalkonstruktivistischen Didaktik" nach WOLFF und WENDT aufweist (vgl. MARTIN 1996, S. 70) und die durch die Methode "Lernen durch Lehren" (LdL) gut zu verwirklichen ist.

Die Nützlichkeit seines Lernerkonstrukts zur Verbesserung des Ist-Zustandes des Fremdsprachenunterrichts belegt MARTIN mit den Erfahrungen der Kollegen im Kontaktnetz. Die empirische Prüfung der Wirkung des Modells LdL, das auf diesem Lernerkonstrukt basiert, erfolgte hauptsächlich auf der Grundlage einer schriftlichen Befragung der insgesamt 480 Mitglieder des Kontaktnetzes von MARTIN im Zeitraum von Dezember 1991 bis Januar 1992, von denen 312 die Fragebögen zurückschickten. Die Lehrer unterrichten zum Großteil am Gymnasium/Fachoberschule (61,2 %), gefolgt von der Hochschule/Fachhochschule (11,5 %), während Hauptschullehrer nur selten auftauchen (3,5 %). Dabei unterrichten 69,2 % der Befragten das Fach Französisch, 38,8 % das Fach Englisch, 21,2 % das Fach Deutsch, während Lehrer aller anderen Unterrichtsfächer zusammen unter 10 % blieben. Von der Mehrheit der Befragten (68 %) wird LdL nur gelegentlich eingesetzt.

Als Vorteile wurden in freier Formulierung genannt, wovon ich nur die sechs häufigsten Nennungen aufführe:
1. Aktivierung (43,7 %), 2. Motivation (22,6 %), 3. Selbständigkeit (19,1 %), 4. Erhöhung des Sprechanteils
(15,6 %), 5. Verantwortung (11,6 %) und 6. Intensivere Auseinandersetzung mit dem Stoff (10,1 %). Dem stehen als meistgenannte Nachteile vor allem der höhere Zeit- und Vorbereitungsaufwand (44,1 %) und der Zeitverlust (16,2 %) sowie Probleme bei den Schülern (33,0 %) in Form von Disziplin- oder Akzeptanzschwierigkeiten oder in Form von methodisch-didaktischen Problemen durch Unter- oder Überforderung gegenüber.

In der zusammenfassenden Sicht aller genannten Vorteile nennen 72,8 % der Befragten positive Auswirkungen auf die "Arbeitshaltung", 50,7 % erkennen in verschiedenen Kategorien Vorteile für die "Persönlichkeit(sent-wicklung)" und erst an dritter Stelle werden von 35,1 % Auswirkungen auf den "Lernprozeß" (mit sprachlichen Lerninhalten) genannt. Bei den Nachteilen der Methode läßt sich der Faktor "Zeit" aus mehreren Nennungen mit insgesamt 56,9 % als größtes Gegenargument erkennen. Es kommt durch den höheren zeitlichen Aufwand bei der Vorbereitung durch den Lehrer und die zeitliche Verlangsamung des Unterrichtstempos zustande. Für die Hauptschule sehe ich dagegen die Verlangsamung nicht als Nachteil, da die Verringerung des Lehr-Tempos, das der "Stoffdruck des Lehrplans" scheinbar fordert, nicht immer eine parallel erfolgende Verringerung des Lern-Tempos zur Folge haben muß, sondern der Qualität der Lern-Prozesse der Schüler und der Vernetzung der entstehenden Wissensstrukturen zugutekommen kann. Als Nachteil wird es vermutlich aus dem Verständnis von Lernprozessen als linearen, fremdgesteuerten Abläufen heraus gesehen, die auf behavioristische, instruktionalistische Lernermodelle zurückgehen.

Besonders in der Zuordnung zu bestimmten Unterrichtsphasen wird die Herkunft des Konzepts aus der Fremdsprachendidaktik deutlich: in der Wiederholungsphase wird LdL von 56,5 % der Befragten eingesetzt, in der Übungsphase von 55,6 %, bei der Hausaufgabenbesprechung von 38,0 %, bei der Texteinführung von 29,1 % und bei der Wortschatzeinführung von 28,8 %. Bei der Grammatikeinführung wird die Methode kaum
(11,4 %) genutzt.

Die Methode "Lernen durch Lehren" findet also für die Wiederholung, Übung und Hausaufgabenbesprechung vorrangig Einsatz, die Einführung von neuem Text, Wortschatz und Grammatik wird von den Lehrern im Kontaktnetz seltener damit praktiziert, auch wenn MARTIN die "Präsentation neuen Stoffes" in der o.a. Beschreibung noch erwähnt und in seinen Videofilmen bis Ende der 80er Jahre vorführt. Aus diesen Erfahrungen der Befragten schließe ich auf die Übertragbarkeit von LdL auch auf andere Unterrichtsfächer, da die Methode offenbar keine spezielle Bindung an den Fremdsprachenerwerb hat. Lediglich das Lehren in der Fremdsprache beinhaltet explizit den Erwerb von Begriffen und sprachlichen Wendungen, die einerseits den eigentlichen Lehrinhalt bilden, andererseits aber auch auf metakommunikativer Ebene die Sprachfähigkeit der Schüler fördern, die sie für eine Vermittlung benötigen. Damit bietet LdL auch aus spracherwerbstheoretischer Sicht Vorteile, da es das angesprochene intentionelle Lernen der Schüler auf der Basis einer sehr aktiven und bewußten Beteiligung des Lerners am Aufbau der Sprachkompetenz und das erwähnte inzidentielle Lernen beim Lehren und im offenen Unterrichtsdiskurs für alle Schüler fördert. Da ich aber das LdL als Unterrichtstechnik nicht nur für den Sprachunterricht geeignet halte, lasse ich im weiteren diesen spezifischen Effekt für den Fremdsprachenunterricht außer acht.

Beim Transfer der Methode in andere Unterrichtsfächer kann sie nach den Erfahrungen der befragten Lehrer auf jeden Fall der Übung, Wiederholung und Hausaufgabenbesprechung dienen.

Aus der Perspektive meiner Arbeit halte ich LdL zusätzlich geeignet für den Erwerb von Kontroll- und Steuerungsfähigkeiten auf metakognitiver Ebene, denn das selbständige Einholen von Informationen über den zugeteilten Lernstoff, die Planung, Organisation und Kontrolle der Lernaktivitäten von anderen und vor allem die in allen Vorbereitungs- und Durchführungsphasen nötige Antizipation der eigenen und der Schüler-Aktionen und -Reaktionen fördern sie in ganz besonderer Weise. Die unabdingbare Voraussetzung für das Lehren-können bildet der selbständige Wissenserwerb, der vermutlich nicht allzu umfangreich sein sollte, da die mögliche Vermittlung mitbedacht werden muß. Parallel oder nachfolgend bedarf es deshalb eines weiteren Durchlaufs der vollständigen Lernhandlung auf der Steuerebene, auf der die eigenen Lernschritte nochmals analysiert und die der späteren Lerner daraufhin antizipiert werden.

In der mitzuplanenden Kontrolle des Lernprozesses liegt meiner Ansicht nach der wesentliche Unterschied zu den üblichen Schülerreferaten, bei denen der vorherige Wissenserwerb zwar auch selbstgesteuert erfolgt, aber die Verarbeitung und Präsentation des Wissens nur Selbstzweck hat. Die Adressaten der Referate lassen sie dementsprechend an sich abperlen. Wenn aber vor der Vermittlung des Wissens auch der bestmögliche Erwerb durch die Lernenden und die nachfolgende Kontrolle und Bewertung der Lernergebnisse mitbedacht werden müssen, führt das zu einem iterativen Vorgehen sowohl auf der Ebene der geplanten vollständigen Lernhandlung der Mitschüler als auch auf der Steuerebene. Dies geschieht zuerst anhand des Lehrer-Modells, wovon der Einsatz derselben Lehr- und Kontrollverfahren wie in dessen Unterricht zeugt.

Der längerfristige Einsatz verbessert die Lernfähigkeit auf Schülerebene ebenso wie die parallel erfolgende Selbststeuerung. Dies bestätigen die von MARTIN befragten Kollegen: "Je häufiger die Methode im Unterricht eingesetzt wird, desto besser sind die Erfahrungen, die damit gemacht werden" (MARTIN 1994, S. 345). Diese Erfahrungen der besseren Bewältigung der schulischen Herausforderungen lassen sich auch motivationstheoretisch durch die gestiegene Selbstwirksamkeitserwartung erklären, die dann ausgebildet wird, wenn man sich selbst als wirkmächtig erlebt. Zudem macht das Gefühl Freude, die Situation unter Kontrolle zu haben (vgl. WOLLERSHEIM 1993, S. 251).

Eine Zusammenfassung der Vorteile einer Übernahme dieser Unterrichtstechnik des LdL oder von Elementen soll dieses Kapitel beenden: Für die Phasen der vollständigen Lernhandlung sehe ich keine besonderen Übungseffekte. Aber auf der Steuerungsebene werden die Planung, Organisation, Koordination und Regulation bis hin zur Überwachung und Kontrolle der Lernvorgänge von anderen in vom Lehrer steuerbaren Schritten erlernt, was die Steuerung der eigenen Lernhandlung oder die des Lernpartners wesentlich verbessert. Durch diese Übernahme von Steuerungs-Elementen, die im traditionellen Unterricht meist der Lehrer wahrnimmt, können "didaktische Teilkompetenzen" übertragen bzw. von Schülern übernommen werden. Durch die Distanz zu der Lernhandlung des anderen wird die Schwierigkeit vorläufig umgangen, das eigene Lernen von Anfang an parallel oder im nachhinein aus der Meta-Ebene zu reflektieren. Dies halte ich für eine gute Möglichkeit des Einstiegs in die Selbstreflexion, die nach GULDIMANN metakognitive Bewußtheit erzeugen und damit den Transfer von bereichsspezifischen kognitiven Strategien möglich machen kann. Durch die Antizipation, Steuerung und Reflexion des Lernens anderer wächst zudem das deklarative und das prozedurale metakognitive Wissen.

Einen weiteren großen Vorteil sehe ich in der Aktivation und Motivation der Schüler, die einen allgemeinen positiven Einfluß auf die Durchführung von Lernhandlungen ausüben und damit den selbstverstärkenden Kreislauf zwischen Handlungsergebnis, Selbstwirksamkeitserwartung, erfolgsbezogene Leistungsorientierung und neuer Exploration in Form neuer Lernhandlungen in Gang bringen oder aufrechterhalten. Eng verflochten damit ist die volitionale Orientierung, die die Anstrengungsbereitschaft und -ausdauer beeinflußt. Durch die geringere Hemmschwelle, von Schüler zu Schüler sein Unverständnis auszudrücken oder um weitere Erklärungen zu bitten, steigt der Aktivitätsgrad zudem an, wodurch auch die Merkleistung positiv beeinflußt wird. Dies zeigt beispielhaft das Gedächtnisprotokoll einer Physik-Stunde in der 8. Jahrgangsstufe der Hauptschule, die mit dieser Unterrichtstechnik durchgeführt wurde (siehe Anhang 5).

Die Auswahl und die Steuerung des Einsatzes kognitiver Strategien, die die Mitschüler anwenden sollen, verschaffen auf metakognitiver Ebene Erfahrungswerte, die auch dem eigenen Lernen später zugutekommen.

Der Wechsel des Lehrers zum Lernberater bildet für die Förderung der Methodenkompetenz eine entscheidende Voraussetzung. Die Methode LdL bietet hierfür einen sanften Einstieg, da sie innerhalb jeder Unterrichtsform eine partielle Übergabe von Lehrertätigkeiten erlaubt, und die große Angst der Lehrer vor dem Kontrollverlust mindert. Außerdem erlaubt die Beobachtung der Lehr- und Lernprozesse der Schüler aus der Distanz des Beobachters ein besseres Erkennen der Verständnislücken und ein gezielteres und individuelleres Reagieren in der aktuellen Situation oder im nachinein.

Abschließend muß betont werden, daß das MARTINsche "Lernen durch Lehren" trotz der Lerner- und Handlungsorientierung eng an die Lehrplanvorgaben zum Wortschatz, zur Grammatik und zur Textbearbeitung gebunden bleibt, da die isolierte Unterrichtung der einzelnen Fächer sowie der lange Lernprozeß von vier bis neun Jahren bei den Fremdsprachen im Gymnasium und die Abschlußprüfungen Gymnasiallehrer stärker unter Druck setzen. Den Widerstand, den Gymnasiallehrer deshalb dieser neuen Konzeption entgegensetzen, konnte ich auf einer dementsprechenden Lehrerfortbildung in Augsburg-Göggingen im Mai 1996 mit Jean-Pol MARTIN lautstark miterleben. Der pädagogische Freiraum, den die Hauptschule besonders im neuen Lehrplan zugesprochen bekommt, der fächerübergreifende Unterricht und die dadurch einsetzbaren Großformen des Unterrichts wie z.B. der projektorientierte Unterrichts, das Planspiel, fächerübergreifende Projekte erlauben hier wesentlich besser, die Methodenkompetenz für eigenständige Lernhandlungen vor allem durch den indirekten Weg über die Steuerungsebene zu fördern. Einem häufigeren Einsatz von LdL in der Hauptschule sollte in Zukunft mehr Aufmerksamkeit zugewendet werden.