Werner Sprick / Memmingerberg: Wissenschaftliche Arbeit für die Diplomprüfung in Erziehungswissenschaft (Studienrichtung Schulpädagogik) an der Pädagogischen Hochschule Weingarten). 05.11.97. (Seiten über LdL)


Anhang 5: "Motoren als Energiewandler -

LdL im naturwissenschaftlichen Unterricht der Hauptschule"
(Erfahrungsbericht für das Kontaktnetz von MARTIN, erschienen im Kontaktbrief Nr. 62/1995)

"Die Hauptschule hat die Aufgabe, dem Schüler eine grundlegende Allgemeinbildung zu vermitteln, Hilfen für die Berufsfindung zu bieten und Voraussetzungen für die berufliche Aus- und Weiterbildung zu schaffen. Im Unterricht soll ein solides Grundwissen und -können vermittelt und in Lernweisen und Arbeitstechniken eingeführt werden, die ... Möglichkeiten der Weiterbildung eröffnen. Die Bildungsinhalte der Hauptschule müssen in Auswahl und Anspruchsniveau den Begabungen und Interessen der Hauptschüler angemessen sein. Die Erziehungsarbeit hat aber Vorrang vor bloßer Vermittlung des Lehrstoffes" (Auszüge aus den Leitgedanken des bayerischen Lehrplans für die Hauptschule von 1985).

Wie aus den Leitgedanken des Lehrplans schon hervorgeht, kommt den Unterrichtsprinzipien der Schülerorientierung, der Aktivierung und der Differenzierung hier viel größere Bedeutung zu als in anderen Schularten. Die Anbahnung von Schlüsselqualifikationen wie z. B. Planungs- und Kommunikationsfähigkeit, Lern- und Kooperationsbereitschaft, Solidaritäts- und Handlungsfähigkeit erfährt deshalb einen höheren Stellenwert als das Ziel der Sachkompetenz in den jeweiligen Einzelfächern. Der Klaßleiter, der die Mehrzahl der bis zu 15 verschiedenen Fächern in seiner eigenen Klasse unterrichtet, eignet sich für die Förderung der Selbst- und Sozialkompetenz dadurch sicherlich am besten. Aber auch in der Hauptschule sind Lernprobleme "wegen des lehrerzentrierten Unterrichts, wegen zu geringer Beteiligungsmöglichkeiten an Planung, Durchführung und Auswertung von Unterricht, wegen der Gleichgültigkeit gegenüber den Inhalten bei gleichzeitig starker ´Betroffenheit´ von den Methodenentscheidungen des Lehrers" sattsam bekannt (H. WENZEL: Unterricht und Schüleraktivität. Weinheim 1987). WENZEL sieht eine Lösung dafür darin, daß "Lehrer ihr Monopol für Methodenentscheidungen aufgeben, daß sie den Schülern das eigene methodische Handeln im Unterricht bewußt machen und ihnen zeigen, wie sie ihre eigenen Methodenentscheidungen treffen und weiterentwickeln können". Eine praktikable Möglichkeit dazu sehe ich in der LdL-Methode von J.P. MARTIN, die es ermöglicht, didaktische Teilkompetenzen durch die Schüler erwerben zu lassen.

Für einen derartigen Versuch mit Hilfe von LdL außerhalb des Fremdsprachenunterrichts schien mir das Fach Physik/Chemie geeignet, das zu einer naturwissenschaftlich-technischen Grundbildung führen und auch Voraussetzungen für die berufliche Aus- und Weiterbildung schaffen soll. Der Unterricht nutzt laut Präambel des Fachlehrplans alle Möglichkeiten zur handelnden, gedanklichen und sprachlichen Selbsttätigkeit aus und klärt unanschauliche Vorgänge notfalls mit Hilfe von Modellvorstellungen.

Alle Versuche, LdL in der Hauptschule einzusetzen, führte ich in der 8. und 9. Jahrgangsstufe durch, wobei die Ergebnisse in der eigenen Klasse immer deutlich besser waren. Dies liegt zum einen am engeren pädagogischen Bezug, da man 15 bis 20 Stunden pro Woche dort unterrichtet und zum anderen an der geringen extrinsischen Motivation und Leistungsorientierung der Schüler, da man selbst mit der Note Sechs in allen Sachfächern im Zeugnis nicht wiederholen muß.

Bei der Übertragung des LdL-Ansatzes hatte ich anfänglich Bedenken: Im Vergleich mit Gymnasiasten würde es vielleicht an Ausdruckskraft und fachlichem Wortschatz mangeln, die Vorbereitungsphase würde nicht immer im nötigen Maß genutzt oder Planungsvorgaben für die selbständig erteilte Unterrichtsphase nicht verständlich sein.

Dagegen könnten gerade im Physikunterricht zum Thema "Motoren als Energieumwandler" die technisch interessierten Schüler ihre Fähigkeiten dazu nutzen, den Mitschülern technische Grundkenntnisse nahezubringen und gleichzeitig ihre kommunikativen Fertigkeiten zu trainieren. Die Übungsphasen sind Hauptschülern zudem in breiter Vielfalt zumindest passiv bekannt, und in meiner Klasse wurden Lernmethoden und
-varianten immer wieder besprochen und durchprobiert.

Nach dem Thema "Energieformen und Energieumwandlungen" sollten die Motoren als Energieumwandler folgen. In der vorausgehenden Unterrichtseinheit wurden die arbeitsteiligen Aufgaben vorgestellt und auf freiwillig gebildete Gruppen verteilt.

Als Einstieg ließ Thomas dann einen Einzylinder explodieren: Er hatte eine Pappröhre unten zugeklebt, seitlich einen Plastikschlauch durchgebohrt, oben einen Deckel aufgelegt und einige Korkstückchen eingefüllt. Anschließend spritzte er einige Benzintropfen ins Innere, schüttelte das Rohr, entzündete dann durch den Plastikschlauch das Benzin-Luft-Gemisch - und der Deckel flog bei der folgenden kleinen Explosion an die Decke. Unter Beifall mußte er den Versuch mehrmals wiederholen und erklären. Anhand einer Schemazeichnung an der Tafel veranschaulichte er nochmals den Ablauf des Arbeitstaktes bei Benzinmotoren.

Die folgende Gruppe erweiterte diesen Vorgang auf alle vier Takte anhand eines Plakates, auf dem als bewegliche Teile die Ein- und Auslaß-Ventile, die Pleuelstange, die Kurbelwelle und der Kolben das Zusammenspiel verdeutlichten. Nach der ausführlichen Demonstration mußten dann Freiwillige den Ablauf des Geschehens mit den entsprechenden Fachbegriffen wiederholen.

Anschließend erläuterte eine reine Mädchengruppe den Dieselmotor anhand einer Querschnitt-Folie, wobei die Mitschüler das Wichtigste auf einem vorbereiteten Arbeitsblatt mit gleicher Zeichnung mitschreiben sollten. Zur Verständniskontrolle entfernte die Gruppensprecherin die Overlay-Folie mit ihrer Beschriftung und forderte die anderen auf, die Arbeitsweise des Dieselmotors nochmals zu beschreiben.

In ähnlicher Weise gingen die zwei Kontrollgruppen vor, die dasselbe Thema zu behandeln hatten. Auch hier wurden Plakate, Folien, Arbeitsblätter, das Schulbuch und das Querschnitt-Modell aus dem Physikraum verwendet. Alle entstandenen Zeichnungen und Einträge dienten zur Sicherung und späteren Wiederholung für die nachfolgende Lernkontrolle durch die Gruppen.

Am eindrucksvollsten gestaltete sich aber das Vorgehen der Schülergruppe, die den Zweitakt-Ottomotor zu erläutern hatte. Da hier mehrere Vorgänge gleichzeitig ablaufen, war hier das Verständnis der Arbeitstakte beim Viertakter genauso nötig wie genaues Beobachten. Als Tobias nach seiner ersten (zu schnellen) Erklärung fertig war, kamen zuerst keine Nachfragen mehr. Ich betonte nochmals an die Klasse gerichtet, daß die "Spezialisten da draußen" alles wüßten und in Schülersprache jedem alles immer wieder erläutern könnten, bis wirklich jeder.... Da hakte Silvia endlich nach und sagte, sie hätte das mit dem Überströmkanal noch nicht verstanden, und Tobias erklärte ihr mit einer Engelsgeduld so lange, bis sie es selber beschreiben konnte. Danach kam Wolfgang an die Reihe, dann Monika - das Eis war gebrochen und die Mitschüler fragten und fragten, sie erklärten es sich zum Teil an den Bänken gegenseitig, bis wirklich auch der letzte wußte, wie ein Trabbi-Motor funktioniert. Seitdem gab es diese Hemmschwelle in dieser Klasse nicht mehr, durch Nachfragen anderen die eigene Unkenntnis bloßzulegen.

In einer Feedback-Umfrage nach einer Woche wollte ich per Selbsteinschätzung herausfinden, wieviel Kenntnisse noch vorhanden waren und welche Vor- und Nachteile sie in der LdL-Methode sahen.

Während im Sachunterricht der Hauptschule im Normalfall von etwa 25% Behaltensquote ausgegangen werden kann, wenn keine Probe ansteht, gaben die Schüler an, vom Viertakt-Motor noch etwa 60% (71%) zu wissen, vom Zweitakt-Motor 46% (87%) und vom Diesel-Motor 55% (68%). Sehr interessant sind dabei die Zahlen in den Klammern, die die Selbsteinschätzung der jeweils vortragenden Gruppe angeben. Es läßt sich schlußfolgern, daß deutlich bessere Behaltensquoten zwischen 11% und 41% entstehen, wenn man sich mit dem Thema so auseinandersetzt, daß man es anderen beibringen kann. Am besten merkte es sich die Zweitakt-Motor-Gruppe mit 87%, die die meisten Fragen zu ihrem Thema zu bewältigen gehabt hatte.

An Vorteilen nannten 29%, sie hätten mehr gelernt, 24% gaben an, sie hätten mehr verstanden als sonst und 19% fanden die höhere Eigenaktivität gut. Als Nachteile wurden jeweils nur von zwei oder drei Schülern angegeben, ihnen wäre nicht alles klar geworden, es seien zu viele Informationen auf einmal gekommen oder es sei ihnen zu schnell gegangen.

Seitdem versuchte ich häufiger, meine Unterrichtsmethoden mit der Klasse zu reflektieren, mein Vorgehen bei der Planung, der Durchführung und der Lernkontrolle transparent zu machen. Besonders den Gedanken an die abschließende Lernzielkontrolle halte ich für äußerst wirksam, um die "Lehrenden" den Stoff immer wieder an die Lernenden anpassen zu lassen. Speziell in der Hauptschule hilft das selbsttätige Erschließen von Teilthemen den Schülern beim Strukturieren, beim Erkennen von Wichtigem und dem Reflektieren des eigenen Lernens. Zudem läßt sich damit das Einfühlungsvermögen höchst effektiv steigern.

Mit der ganzen Klasse wiederholte ich den LdL-Versuch einige Monate später im Fach Englisch mit guten Ergebnissen. Häufiger verwendete ich seitdem die Methode von J.P. Martin allerdings dergestalt, daß einzelne Schüler in allen Sachfächern Stundenthemen oder Teilthemen übernahmen, die sie der Klasse mit allen möglichen Medien und einer erstaunlichen Vielfalt an Übungsmöglichkeiten und Lernkontrollen nahebrachten."