LdL (Lernen durch Lehren) in Mathematik der Grundschule

Erfahrungsbericht von Peter O. Chott

Um die üblichen mathematisch-didaktischen ‚Lehrbahnen‘ zu verlassen, wurde in einer 3. Klasse versucht, die Themen ‚Schriftliche Addition‘ und ‚Schriftliche Subtraktion‘ im Sinne der MARTIN‘schen LdL-Methode einzuführen und zu sichern. Der Versuch kann als ‚teilweise geglückt‘ bewertet werden.

Zur Klassensituation:

Die SchülerInnen dieser 3. Grundschulklasse zeigen ein heterogenes Leistungsbild. Das heißt in der ausgewählten Klasse sind von insgesamt 25 SchülerInnen 2 bis 3 Kinder mit sehr guten, 3 bis 4 mit guten und 3 bis 5 mit schwachen bis sehr schwachen, die übrigen SchülerInnen mit mittleren Mathematikleistungen vorhanden. Alle Kinder verfügen über so viel Sprachkompetenz, dass sie –d.h. auch die 6 Ausländer- bzw. Aussiedlerkinder- dem Unterricht in deutscher Sprache normal folgen können. Die SchülerInnen haben Vorerfahrungen mit Gruppen-, Frei- und Stationenarbeit, mit LdL jedoch keine.

 Zum methodischen Vorgehen:

Vor der Einführung der ‚Schriftlichen Addition‘ wurde immer wieder versucht, in den Übungsphasen, SchülerInnen mit guten und sehr guten mathematischen Leistungen als Helfer für schwächere SchülerInnen einzusetzen. In den Übungsphasen, die in Einzelarbeit anhand verschiedener Aufgaben und Arbeitsblätter von den SchülerInnen zu absolvieren waren, durften sich bei auftretenden Problemen die SchülerInnen per Handzeichen an eine(n) der HelferInnen wenden. In mehreren kurzen Gesprächen wurden die HelferInnen außerhalb der Klasse mit didaktischer Kompetenz versehen, also sozusagen ‚didaktisch fit‘ gemacht. Den sich freiwillig zur Verfügung stellenden fünf HelferInnen wurde von der Lehrperson erklärt, dass sie zunächst den/die Hilfesuchende(n) fragen sollten, ob er/sie wirklich Hilfe benötige und ob sie/er die Arbeitsaufträge (unter Umständen mehrmals) auch intensiv gelesen hätten. Erst nach der Bejahung dieser Fragen sollten sich die HelferInnen weiter zuwenden. Dadurch sollen unnötige Fragen und zu wenig Anstrengung seitens der Hilfesuchenden vermieden werden. Weiter wurde den HelferInnen gesagt, sie sollten der/dem Hilfesuchenden nur so viel Hilfe angedeihen lassen, wie dies nötig sei. Es sei falsch den Hilfesuchenden die Aufgaben auszurechnen, sondern man müsste stets nur ein Stückchen weiterhelfen. Bei für die HelferInnen unlösbaren Problemen oder Streitfällen sollten sie sich leise an die Lehrkraft wenden.

Entgegen der sonstigen lehrerzentrierten Einführung, die im Sinne von Piaget mit der konkreten Auseinandersetzung begann, welcher die ikonische sowie -daran anschließend- die graphische Bewältigung des Additionsproblems folgte, wurde diesmal vom fertigen ‚Produkt‘ ausgegangen. Die SchülerInnen saßen in ihren normalen Gruppen zusammen und es wurde gefragt, wer bereits "wie die Erwachsenen" immer zwei der an der Tafel (nicht untereinander) notierten, dreistelligen Zahlen zusammenzählen könnte. Es meldeten sich aus jeder Gruppe mindestens eine Schülerin bzw. ein Schüler unter denen auch oben erwähnte HelferInnen waren. Diese ‚Experten‘ bekamen die Aufgabe, den anderen SchülerInnen innerhalb der Gruppe ihr Vorgehen zu erklären und die an der Tafel stehenden Aufgaben ins Heft zu lösen. Anhand der ebenfalls an der Tafel stehenden Kontrollzahlen sollte sich die Gruppenmitglieder selbst kontrollieren. Nachdem die SchülerInnen bisher eher darauf ‚gedrillt‘ waren, auf ihrem Platz zu sitzen und zu arbeiten, musste das Gehen zum Gruppenmitglied ausdrücklich erlaubt werden. Ein Übungsblatt (ebenfalls mit Kontrollzahlen) wurde für die schnellen RechnerInnen ausgelegt. Als Zeichen dafür, dass der Lärmpegel zu laut sein würde, wurde ein Glockenzeichen ausgemacht, das die Lehrkraft als Aufforderung zur Beruhigung geben würde. Nach ca. einer Viertelstunde wurde eine gemeinsame Reflexionsphase eingelegt, in der die SchülerInnen ihre Rechenwege beschrieben und die korrekte Sprechweise des mathematischen Algorithmus eingeführt wurde. Die Aufgaben waren –wie üblich- zunächst ohne den Zehnerübergang konzipiert, so dass alle SchülerInnen die meisten der gestellten Aufgaben –die restlichen in Hausarbeit- richtig lösen konnten.

In der nächsten Unterrichtseinheit wurde ähnlich verfahren. Im Vorgespräch hatten die sehr guten bzw. guten SchülerInnen ungeduldig eingebracht, dass man ja auch über den Zehner gehen müsse. Sie vermittelten ihre bereits vorhandenen Kenntnisse ebenso an ihre Gruppenmitglieder, die dieses mathematische Problem noch nicht lösen konnten. Die Lehrkraft arbeitete währenddessen mit den beiden schwächsten SchülerInnen, entließ diese aber bald wieder in ihre Gruppe, um sie ihre neu erworbenen Kenntnisse auch den anderen zeigen zu lassen. Damit war ein sichtlicher Motivationsschub bei den beiden zu erkennen. In der Hitze des Erklärens stieg der Lärmpegel, so dass die Lehrkraft das abgemachte Zeichen gab. Daraufhin reduzierten die SchülerInnen ihre Lautstärke wieder. Die Reflexionsphase erbrachte die diversen Rechenweg (rechnen von oben nach unten oder umgekehrt), deren mathematische Erklärung und auch die korrekte Sprechweise. Während die anderen SchülerInnen ihr neues Können mit Begeisterung anwandten, ging die Lehrkraft mit den 5 schwächeren SchülerInnen an einem eigenen Gruppentisch zurück auf die ikonische Stufe und klärte hier nochmals den Zehnerübergang. Nach ca. 3 Unterrichtsstunden beherrschten alle SchülerInnen die ‚Schriftliche Addition‘ sicher.

Ermutigt durch diesen, im Vergleich zum üblichen Vorgehen, rascheren Erfolg, der trotzdem mathematisch korrekt, zudem aber motivierender wirkte, sollte dieses -im Sinne des LdL für die Grundschule zugeschnittene- Lehrverfahren auch bei der ‚Schriftlichen Subtraktion‘ Anwendung finden. Bestätigt wurde das Vorhaben dadurch, dass eine Reihe von Kindern die Lehrperson fragte, ob sie in dieser Mathematikeinheit wiederum in der Gruppe arbeiten dürften. Die Einführung erfolgte wie bei der oben beschriebenen Einführung der ‚Schriftlichen Addition‘ mit der Frage nach denjenigen Gruppenmitgliedern, die das schriftliche Abziehen bereits beherrschen. Der Ablauf war analog dem oben beschriebenem. In der ersten Unterrichtseinheit widmete man sich dem Problem des schriftlichen Minusrechnens ohne Zehnerübergang. Hierbei führte die (im Sinne des LdL verstandene) Vorgehensweise ebenso rasch zum Ziel. Auch die oben erwähnten positiven Wirkungen zeigten sich.

Die Anwendung von LdL bei Minusaufgaben mit Zehnerübergang scheiterte offensichtlich an der mathematischen Schwierigkeit, weshalb die ‚gemerkte Zahl‘ dazugerechnet werden muss. Ebenso war den SchülerInnen nicht klar, dass der Algorithmus ein Rechnen von unten nach oben beinhaltet, da "Minusrechnen nichts anderes als Ergänzen" bedeutet. Auf Grund dieser Schwierigkeiten war es notwendig, für alle SchülerInnen –im Sinne von Piaget- auf die zeichnerische (ikonische) Stufe, für die Schwächeren auf die konkret-handelnde Stufe zurückzugehen. Für SchülerInnen, vor allem für die unsicheren, war es schwierig, dieses anfängliche Scheitern zu verarbeiten. Das äußerte sich darin, dass sie –teils lautstark- mit ihren Gruppenmitgliedern stritten, ihnen Vorwürfe zum unzureichenden Lehren machten und die Gruppenarbeit verurteilten. Ein ‚Metagespräch‘, das –im Sinne des Lernenlehrens- diese Problematik im Unterricht thematisierte, versuchte Toleranz und Einsicht in diese Lernphase zu bringen.

Aus der Reflexion heraus, erscheint es günstiger, die ‚Experten‘ bzw. HelferInnen (im Sinne des Martin’schen LdL-Konzepts) ihr Lehrvorhaben (‚Schriftliches Abziehen mit Zehnerüberschreitung‘) zuhause vorbereiten zu lassen. Dazu kann ein gutes Schülerbuch (wie z.B. ‚Denken und Rechnen 3‘ Westermann-Verlag 1995, Seite 59) helfen. Inwieweit die HelferInnen (didaktisch) dazu in der Lage sind, ihr eigenes, erworbenes Wissen weiterzugeben, müsste sich durch Anwenden in folgenden Unterrichtseinheiten erkunden lassen.

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