Petra Rosenberg
Boeselagerstr. 1
48163 Münster
0251/778314

An
PD. Dr. Jean-Pol Martin
Universität, UA Zi 240
85071 Eichstätt

Münster, den 23.12.1997

Lieber Herr Martin,

zunächst möchte ich Ihnen von meiner erfolgreichen Anwendung Ihrer LdL-Methode berichten: In der letzten Woche, war ich so "mutig", während einer durch meinen Hauptseminarleiter und meinen Mathematikfachleiter besuchten Stunde bis auf die letzten fünf Minuten keinen Ton von mir zu geben - die Leitung der Stunde also den Schülern zu überlassen. Bei der Lerngruppe handelte es sich um einen sehr leistungsstarken Mathematik-LK der Jahrgangsstufe 13. In der ersten Stunde einer Doppelstunde erhielt eine Schülergruppe den Auftrag, sich in eine Aufgabe hohen Anforderungsgrades einzuarbeiten, wobei sie verschiedene Lösungswege erarbeiten und sich didaktisch auf die Leitung des Unterrichtsgesprächs in der nächsten Stunde (der besuchten Stunde) vorbereiten sollten. Dieses Unterrichtsgespräch, in dem sie mit ihren Mitschülern die verschiedenen Lösungswege erarbeiteten, klappte hervorragend. Sie waren stark bemüht, ihre Mitschüler durch deren eigene Denkleistungen zur Lösung des Problem zu führen. Dabei nutzten sie optimal die Medien Modell und Tafelbild. Sie bemühten sich intensiv und geduldig um Lernschwierigkeiten ihrer Mitschüler. Meinen Hauptseminarleiter beeindruckte besonders das hohe Maß an Interaktion zwischen den Schülern, welches er sonst im Fach Mathematik stark vermißt sowie der offene Umgang mit Lernschwierigkeiten unter den Schülern.

Zum Schluß der Stunde diskutierte ich die Methode mit den Schülern. Die Resonanz war ebenfalls positiv. Ein Schüler aus der Gruppe der Lernenden sagte, ein Sachverhalt sei oft besser nachzuvollziehen, wenn ihn ein Schüler erkläre, der ihn sich soeben selbst klar gemacht hat und nicht der Lehrer. Die Gruppe der Lehrenden war sich einig, daß sie besser nicht hätten lernen können als durch die Vorbereitung und Ausführung dieser Stunde.

Weder meinem Hauptseminarleiter noch meinem Fachleiter war Ihre Methode bekannt. Sie wollen sich nun über das Internet informieren.

Einen Entwurf der Stunde lege ich Ihnen bei.

Es grüßt Sie

 


Stundenentwurf (Anwendung der Methode LdL) in einer Lehrprobe in einem Mathematikleistungskurs 13

Thema der Reihe:

Lagebeziehungen zwischen geometrischen Objekten in Punkträumen

Thema der Stunde:

Anwendung unterschiedlicher Überprüfungskriterien zur Untersuchung von Lagebeziehungen der geometrischen Objekte Punkt, Gerade und Ebene im dreidimensionalen Punktraum unter Anleitung von Schülern

Einordnung in die Reihe

  • Definition und Darstellungsformen von Geraden im Punktraum
  • Definition und Darstellungsformen von Ebenen im Punktraum
  • Untersuchung der Lagebeziehungen Punkt-Gerade, Punkt-Ebene, Gerade-Gerade, Gerade-Ebene und Ebene-Ebene im dreidimensionalen Punktraum
  • Anwendung unterschiedlicher Überprüfungskriterien zur Untersuchung von Lagebeziehungen der geometrischen Objekte Punkt, Gerade und Ebene im dreidimensionalen Punktraum unter Anleitung von Schülern

Stundenziele:

Die Schüler sollen

kognitive Lernziele:

  • das zuvor im Unterricht angeeignete Wissen über Darstellungsformen von Geraden und Ebenen sowie über die verschiedenen Möglichkeiten der Untersuchung von Lagebeziehungen der Objekte Punkt, Gerade Ebene in einer mehrere Lösungsmöglichkeiten beinhaltenden Problemstellung anwenden können,
  • ihr räumliches Vorstellungsvermögen schulen, indem sie einen in einer Skizze schwer sichtbaren Sachverhalt im räumlichen Modell veranschaulichen,

sozial-affektive Lernziele:

  • in der Gruppe selbstständig und effizient zusammenarbeiten
  • Verantwortung für den Lernprozeß ihrer Mitschüler übernehmen
  • über den Lernprozeß ihrer Mitschüler nachdenken und damit auch ihr eigenes Lernen reflektieren
  • ihre mathematische Kreativität und Phantasie "ausleben"
  • Methodenkompetenz erwerben, die über das Fach Mathematik hinausgeht, indem sie
    • Sachverhalte, die sie sich selbstständig erarbeitet haben, (unter zur Hilfenahme von Medien) vermitteln
    • eine sachliche Diskussion führen bzw. leiten, wobei sie einander zuhören und aufeinander eingehen

 

Begründung der Stundenziele:

Zum Abschluß der Reihe "Lagebeziehungen zwischen geometrischen Objekten in Punkträumen" ist es sinnvoll, sich mit einer komplexen Aufgabe zu beschäftigen, die sowohl die Lagebeziehungen aller zuvor nur in Zweierkombination aufgetretenen geometrischen Objekte als auch die unterschiedlichen Untersuchungsmöglichkeiten von Lagebeziehungen (Argumentation über LGS/Abhängigkeit von Vektoren) beinhaltet. So dient diese Aufgabe der Vertiefung des Verständnisses und der Förderung eines "beweglichen Denkens" in Bezug auf den zuvor behandelten Unterrichtsstoff.

Das räumliche Vorstellungsvermögen ist nicht bei allen Schülern gut ausgebildet, so daß sie sich im Unterricht oft durch Möbelkanten etc. geometrische Probleme im Raum veranschaulichten. Deshalb soll in dieser Stunde ein Modell (gespannte Kordeln als Geraden), das einen komplizierteren Sachverhalt veranschaulicht, das räumliche Vorstellungsvermögen weiter schulen.

Die Schüler dieses sehr leistungsstarken Kurses sind es gewohnt, selbstständig Problemlösungen zu erarbeiten. Aufgrund ihres großen Interesses an mathematischen Strukturen bestimmen sie den Unterricht immer wieder durch Diskussionen, die zum Beispiel veränderte Voraussetzungen oder Varianten bezüglich eines Problemlösungsverfahrens beinhalten. Dabei zeigen viele der Schüler eine große Sprach-, Sozial- und Sachkompetenz. Die heutige Unterrichtsstunde ist damit ein Schritt weiter in Richtung eines stark von Schülern gelenkten Unterrichts. Die Lehrerin wird in dieser Stunde noch weiter Verantwortung für den Lernprozeß an die Schüler abtreten (für alle schon durch ihre räumliche Position - am Rand sitzend/Schüler im Blickfeld aller agierend - sichtbar). Dies entspricht neuen Anforderungen an die Lehrerrolle: Der Lehrer als Berater und nicht als reiner Wissensvermittler. Die Schule als ein Ort in dem nicht nur Wissen gelehrt wird, sondern auch das Lernen gelehrt wird.

In einer sich ständig wandelnden, zunehmend unüberschaubarer und komplexer werdenden Gesellschaft sind vielfältigere Kompetenzen erfordert als bloßes Wissen. Die Schüler müssen mehr denn je zur Bewältigung und aktiven Gestaltung dieser Umwelt befähigt werden (nach: Martin auf einem von ihm herausgegebenen Thesenpapier "Die Methode Lernen durch Lehren").

Weiter verstärkt diese Methode eines von Schülern geleiteten Unterrichts auch den Wissenserwerb. Dies vor allem auf Seiten der lehrenden Schüler. Durch Untersuchungen wurde belegt, daß durch eigenes Ausführen und Vortragen die Wahrscheinlichkeit des Behaltens sehr viel größer ist als durch reines Rezipieren. Auch auf Seiten der Lernenden kann auf Grund der ungewohnten Situation, Mitschüler als Lehrende zu erleben, eine höhere Motivation erwartet werden.

 

 

Unterrichtsverlauf

1. Stunde:

Phase Inhalt/Unterrichtsgeschehen Sozialform Medien
Einstieg L. stellt das Thema/ Vorhaben der Doppelstunde vor LB Tafel
Erarbeitung - Der Kurs wird in drei Gruppen aufgeteilt

- Zwei Gruppen konstruieren eine Aufgabe, die später von den Mitschülern gelöst werden soll. Hierbei sind im Arbeitsauftrag Vorgaben gemacht, so daß das Aufstellen von Geraden- und Ebenengleichungen, die Untersuchung der Lagebeziehungen zwischen den geometrischen Objekten Punkt, Gerade, Ebene wie auch die graphische Darstellung im räumlichen Koordinatensystem zum Gegenstand der Aufgaben wird.

- Die verbleibende Gruppe beschäftigt sich mit der Lösung des folgenden geometrischen Problems: Gegeben sind zwei windschiefe Geraden g1, g2 und ein Punkt P, der auf keiner dieser Geraden liegt. Gesucht ist mindestens eine Gerade h, die g1 und g2 schneidet und auf der P liegt.

Gemeinsam erarbeitet die Gruppe verschiedene Wege zur Lösung des Problems und bereitet sich auf die Leitung der nächsten Stunde vor (siehe Verlaufsplan der 2. Stunde und Arbeitspapiere).

Falls ihnen genügend Zeit bleibt berechnen sie die Lösungsgerade.

GA AP I, II, Seile

 

2. Stunde

Die 2. Stunde steht unter Leitung der Schülergruppe, die sich in der ersten Stunde mit dem vorgegbenen geometrischen Problem beschäftigt hat.

Phase Inhalt/Unterrichtsgeschehen Sozialform Medien
Einstieg Vorstellen des geometrischen Problems: Gegeben sind zwei windschiefe Geraden g1, g2 und ein Punkt P, der auf keiner dieser Geraden liegt. Gesucht ist mindestens eine Gerade h, die g1 und g2 schneidet und auf der P liegt. SB Folie
Erarbeitung I mit Hilfe eines räumlichen Modells (gespannte Seile als Geraden) erklären sich die Schüler anschaulich, daß nur eine Gerade existiert, die sowohl beide Geraden schneidet als auch den Punkt beinhaltet. UG Seile
Erarbeitung II Die Sch. diskutieren mögliche Lösungswege zur Ermittlung der gesuchten Geraden.

Möglichkeiten:

- Ausnutzung der linearen Abhängigkeit von Richtungsvektoren und Differenzen der Stützvektoren

- Gleichsetzen der jeweiligen Geradengleichungen und Lösen des Gleichungssystems

- Ermittlung der Schnittgerade der Ebenen, die durch den vorgegebenen Punkt und jeweils einer der Geraden bestimmt sind, als Lösungsgerade.

UG Tafel, Seile
  Reflexion der Methode:

- Beurteilung durch die Lernenden

- Beurteilung durch die Lehrenden

=> evtl. Ausstieg

UG  
Erarbeitung III Die Sch. berechnen die gesuchte Geradengleichung über die oben genannten Lösungswege GA arbeitsteilig  
Sicherung Vorstellen der Ergebnisse SB Tafel
Hausaufgabe Beenden der Aufgabe oder Lösen der von den anderen beiden Schülergruppen selbst konstruierten Aufgaben (die ansonsten in der nächsten Stunde bearbeitet werden)    

 

Arbeitsauftrag: Erarbeitung einer Aufgabenstellung für eure Mitschüler

Vorgehensweise:

1) Gebt einen geradlinig begrenzten Körper (z.B. Quader, Spat oder Pyramide) durch seine Eckpunkte vor.

2) Gebt nun ein weiteres geometrisches Objekt (Punkt, Gerade oder Ebene) vor, dessen gemeinsame Punkte mit z. B. einer Seite, einer Diagonalen.......des gegebenen Körpers später von euren Mitschülern berechnet werden sollen.

(Hierbei müssen die geometrischen Objekte nicht unbedingt explizit durch Gleichungen angegeben werden, sondern es ist auch möglich, sie zu "verschlüsseln" wie etwa durch Angabe mehrerer Punkte oder Richtung einer bestimmten Raumdiagonalen.........Laßt eurer Phantasie freien Lauf!)

Tip: Geht immer vom gewünschten Ergebnis aus.

3) Rechnet die Aufgabe und diskutiert verschiedene Lösungswege.

  • Bedenkt, daß die Arbeitszeit für eure Mitschüler nicht viel länger als eine halbe Stunde betragen sollte.
  • Schreibt die Aufgabe auf Folie.
  • Für die Leitung der Aufgabenbesprechung ist auch eure Grupe zuständig.

 

Arbeitsauftrag:

a) Überlegt euch mit Hilfe eines Modells aus gespannten Kordeln, wieviele Geraden h es geben kann, die g1 und g2 schneiden und auf denen auch P liegt.

b) Welche Lösungsmöglichkeiten existieren, um h zu ermitteln?

c) Vorbereitung der zweiten Unterrichtsstunde, in der ihr mit euren Mitschülern im Unterrichtsgespräch a) und b) erarbeiten sollt.

Euer Ziel soll es sein, die Mitschüler unter eurer Anleitung, aber durch ihre eigenen Denkleistungen, zur Lösung der Aufgabenteile a) und b) zu führen!

Nutzt euren Wissensvorsprung also nicht zu lauter kleinen Fachvorträgen, sondern führt eure Mitschüler durch Denkanstöße und Fragen auf den richtigen Lösungsweg. Dazu müßt ihr euch die eigene Vorgehensweise bei der Lösung des Problems schrittweise bewußt machen und euch in die Situation eurer Mitschüler hineinversetzen. Drängelt auf Grund eures Vorwissens nicht, sondern laßt ihnen Zeit sich in das Problem hineinzudenken.

  • Macht euch Stichpunkte zur Vorgehensweise (welche Leitfragen wollt ihr stellen, was sollen die Mitschüler am Modell zeigen etc.)
  • Wählt einen Moderator (Rollentausch ist natürlich möglich).

Er soll

  • die Aufgabe mit Hilfe der Folie/des Modells kurz erläutern,
  • im weiteren Verlauf das Gespräch moderieren, d.h. Denkanstöße geben bzw. weitere Fragen stellen, seine Mitschüler aufrufen (möglichst jeder sollte mal drankommen => warten, um allen die Chance zu geben, sich eine Antwort zu überlegen!) und wenn nötig erklären.

Die anderen Gruppenmitglieder sind dafür zuständig,

  • Demonstrationen am Modell vorzunehmen,
  • wichtige Erkenntnisse an der Tafel festzuhalten,
  • den Moderator in seiner Aufgabe zu unterstützen.

Falls noch Zeit bleibt: d) Berechnet h. Es ist sinnvoll, euch noch einmal aufzuteilen, um die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten auszuprobieren.