Nummer 143 · Mittwoch, 25. Juni 1997

Höheres Maß an Selbständigkeit

Eichstätter Dozent Dr. Martin berichtete über die Methode "Lernen durch Lehren"

Amberg. (grä) Schüler schlüpfen in die Rolle des Lehrers und übernehmen den Unterricht. Eine weiterhin ungewohnte, aber nicht ganz neue Vorstellung, die Dr. Jean-Pol Martin, Dozent an der Universität Eichstätt, zum Grundprinzip seiner Methode "Lernen durch Lehren" (LdL) erhoben hat.

Auf Initiative der Elternbeiräte der Amberger Gymnasien war Dr. Martin mit zwei Praktikern nach Amberg gekommen, um Lehrern und Eltern dieses Verfahren zu erläutern und mit Unterrichtsbeispielen zu veranschaulichen.

Warum neue Wege gehen?

        Aber warum muß man überhaupt neue Wege im Schulalltag gehen? Ist die schulische Wirklichkeit erneuerungsbedürftig? Für Dr. Martin liegt die Antwort auf der Hand. Die Gesellschaft und damit auch unsere Schülerschaft verändert sich immerfort. Hierauf müsse die pädagogische Praxis jeweils neu reagieren. "In einer Gesellschaft, deren Komplexität und Unüberschaubarkeit zunehmen und die deshalb vielfältigere Kompetenzen erfordert als bloßes Wissen scheint eine neue Methode notwendig zu sein." (Dr. Martin)

     Mit der Methode "Lernen durch Lehren" übernehmen Schüler zumindest einen Teil des Unterrichtsprogramms, erläuterte der Hochschuldozent. In der Regel bereiten sie die Stunde zu zweit oder in Kleingruppen gemeinsam vor, organisieren den Unterrichtsablauf, leiten das Unterrichtsgespräch und stellen die Hausaufgabe für die Folgestunde. Der Lehrer hält sich im Hintergrund, greift nur korrigierend in das Geschehen ein, wenn das geplante Stundenziel aus den Augen verloren zu gehen droht bzw. der Ablauf eine unerwünschte Richtung nimmt.

Höhere Unterrichtsbeteiligung

     Die Vorteile, die dieses Verfahren bietet, liegen nach Dr. Martin in der weitaus höheren Beteiligung der Schüler am Unterrichtsgeschehen. Die vielfach zu beobachtende Passivität der Schüler, die die vom Lehrer vermittelten Unterrichtsinhalte nur rezeptiv aufnähen, weiche durch die weitgehend selbständige Erarbeitung des Stoffes einer stärkeren inneren Beteiligung der Lernenden. Dadurch, daß der Redeanteil des Lehrers im Unterricht deutlich zugunsten der Schüleraktivität sinke, würde nicht nur die Motivation, sondern auch der Behaltenseffekt bei den Schülern steigen, so daß die mit dieser Methoden erzielten Leistungen nicht hinter denen der im üblichen Frontalunterricht erreichten Ergebnisse zurückzustehen brauchen.

     Ein in unserer Zeit nicht zu unterschätzender Nebeneffekt dieser Methode ist für Dr. Martin der gleichzeitige Erwerb von Schlüsselqualifikationen, die von den Schülern in ihrem künftigen Berufsleben verlangt werden. Der Übergang vom fremd- zum selbstbestimmten Lernen wirke disziplinierend auf die Klassengemeinschaft. Darüber hinaus fordere "Lernen durch Lehren" in der Schule ein höheres Maß an Selbständigkeit sowie die Übernahme von Verantwortung und bilde dadurch ein stärkeres Selbstbewußtsein der Schüler heraus. Gerade im Erlernen derartiger sozialer Kompetenzen sehen die Verfechter dieser Methode erhebliche Vorteile gegenüber den herkömmlichen Verfahren.

Vom Ministerium nur geduldet

     Dr. Martin rief die anwesenden Eltern um Unterstützung für "seine" Methode auf, denn von seiten des Kultusministeriums würde seine Arbeit lediglich geduldet, aber keinerlei Unterstützung erfahren, obwohl Minister Hans Zehetmair ihm zugebilligt habe, gerade im Bereich Sprachen über jeden Vorschlag, der die Effektivität des Unterrichts verbessere, dankbar zu sein.

     Die anwesenden Eltern und Lehrer, die einer möglichen Umsetzung der Methode mit großem Interesse, aber auch mit einer gehörigen Portion Skepsis angesichts der Lehrplanvorgaben begegneten, überhäuften die Referenten mit Fragen aus der pädagogischen Wirklichkeit, um die Tragfähigkeit eines Einsatzes von LdL im Unterricht zu überprüfen. Dabei zeigten sich vor allem Bedenken bezüglich der Vereinbarkeit dieser Methode mit der Notwendigkeit von Schul- oder Stegreifaufgaben. Die Referenten verwiesen jedoch darauf, daß diese schriftlichen Lernerfolgskontrollen wie überall auf die Schüler zukämen. Der Unterschied sei jedoch, daß die Schüler die Übungen selbst gestalteten, um ihre Mitschüler und sich selbst auf die Überprüfungen vorzubereiten.