HÄUFIG GESTELLTE FRAGEN ZUM EINSATZ DER METHODE LDL
(Jean-Pol Martin, 19. April 1997)


 

  1. "Kann man jederzeit in LdL einsteigen, oder muss man die Klasse von Anfang an unterrichten."

    Man kann jederzeit in LdL einsteigen. Am besten führt man die LdL-Techniken allmählich ein, ohne zu erwähnen, dass es sich hier um eine "neue" Methode handelt. Nach ungefähr einem Monat können die Schüler die wichtigsten Lehrfunktionen ausüben und vermögen es (meist mit Hilfestellung des Lehrers) auch, neuen Stoff einzuführen und interessant darzubieten. Die Schüler selbst merken kaum, dass das etwas besonderes sein soll.

  2. "Wie muss man die erste LdL-Stunde gestalten?"

Der erste Einstieg muss exakt vorbereitet werden. In der Regel wissen die Schüler nicht, wie sie sich vor der Klasse verhalten sollen. Also am Anfang muss man eine Art Kurztraining durchführen, indem man den Schülern zeigt, wie man vor der Klasse steht, sich gegenseitig korrigiert, sich anschaut, sich lobt, sich zulächelt, höflich miteinander umgeht usw. Dabei muss man sie immer wieder bitten, laut zu sprechen. Das muss regelrecht geübt werden, indem man wie ein Regisseur bestimmte Sequenzen wiederholen lässt, bis es klappt. Erfahrungsgemäß reichen ein paar Unterrichtsstunden, um dies zu automatisieren. Ganz wichtig ist darauf zu achten, dass, wenn ein Schüler spricht, alle zuhören. Befolgt man diese Regeln genau, kann man später auf das entstehende Fundament aufbauen.

  1. "Verliert man denn bei all diesem Training und der relativen Langsamkeit der Schüler denn nicht viel Zeit? Wie ist es mit dem Lehrplan und der Stofffülle"

Am Anfang, also in den ersten Stunden, muss man natürlich etwas Zeit für die Einführung und vor allem die Einübung der LdL-Technik aufwenden. Aber sehr bald, wenn die Schüler etwas Routine gewonnen haben, ist man schneller als mit traditionellen Verfahren. Das liegt daran, dass die Schüler bei der Stoffvermittlung effektiver sind als die Lehrer. Sie sind weniger redundant, meinen nicht, dass sie jedes Detail dreimal wiederholen müssen und entwickeln ja selbst bald die Kompetenz zum Lehren. In der Regel bin ich schneller mit dem Buch fertig als die traditionell unterrichtenden Lehrer an meiner Schule.

  1. "Wie ist es, wenn man die Klasse nach einem Jahr LdL-Unterricht wieder abgibt. Wie reagieren die Schüler auf den anderen Unterrichtsstil?"

Der Ausstieg verläuft genauso undramatisch wie der Einstieg. Nach kürzester Zeit gewöhnen sich die Schüler an den Stil des anderen Kollegen.
 

  1. "Stellt sich nach einiger Zeit, also wenn der Neuigkeitseffekt verpufft ist, nicht Langeweile ein?"

Das ist nicht ausgeschlossen, denn die Präsentationstechniken der Schüler sind ja auch recht begrenzt, manchmal auch einfallslos. Das ist aber weiter nicht schlimm, denn dann kann der Lehrer wieder mit frischer Kraft selbst den Unterricht übernehmen, bis nach einiger Zeit die Schüler wieder gerne selbst aktiv werden. Es ist ja ohnehin nicht so, dass bei LdL nur die Schüler unterrichten, sondern es handelt sich eher um einen dialektischen Prozess: zunächst die Schüler, dann der Lehrer, dann wieder die Schüler, usw.

  1. "Wie ist es mit der Benotung?"

Ich richte mich dabei nach der Schulordnung. Ansonsten gebe ich auf Schülerpräsentationen KEINE Note. Sonst verstummen die Schüler, weil sie nur noch - mit Blick auf die Note - Perfektes von sich geben wollen. Nun lebt der LdL-Unterricht sehr stark davon, dass viel Sprachliches umgesetzt wird, also auch viele Fehler gemacht werden. Da das Thema "Benotung" etwas heikel ist, habe ich meine Erfahrungen darüber in einem kurzen Papier zusammengefasst. (www.ldl.de/faq/noten.htm)

  1. "Kann man LdL auch mit großen Klassen, z.B. 33 Schülern praktizieren?"

Natürlich ist es leichter, LdL mit kleineren Klassen anzuwenden. Aber gerade mit großen Klassen muss man sich angesichts der Veränderungen in der Schülerpopulation didaktisch etwas einfallen lassen. Viele Kollegen haben mit LdL in großen Klassen gute Erfahrungen. Ich selbst führe seit Beginn des Schuljahres 96/97 eine 7.Klasse mit 30 Schülern, die anfangs sehr undiszipliniert waren. Einerseits musste ich die ganze Palette der Disziplinmaßnahmen einsetzen, die in solchen Klassen unvermeidlich sind, andererseits hielt ich von Anfang an einen lupenreinen LdL-Unterricht. Das Jahr ist nun sehr fortgeschritten und die Schüler haben den ganzen Stoff selbst eingeführt mit sehr viel Phantasie und Freude. Auch wenn die Klasse anfangs disziplinär anstrengend war, durch LdL habe ich sie in den Griff bekommen. Den Schülern und mir macht der Unterricht gegenwärtig sehr viel Spaß.

  1. "LdL verlangt einen größeren Aufwand als der traditionelle Unterricht. Wie ist das zu meistern bei 23 Wochenstunden und 33 Schülern pro Klasse?"

Die meisten Kollegen praktizieren LdL nicht in allen Klassen und nicht durchgängig. Bestimmte Klassen eignen sich, andere eben nicht. Aber LdL-Techniken lassen sich punktuell überall einsetzen. Ich selbst praktiziere LdL durchgängig seit 17 Jahren, auch in schwierigen Klassen. Allerdings muss ich betonen, dass ich a) die LdL-Techniken natürlich sehr gut beherrsche, und b) immer nur eine Klasse an der Schule führe und mich voll auf sie konzentrieren kann.

  1. "Gibt es Stoffe, die besonders geeignet sind, um nach LdL unterricht zu werden?"

Je einfacher der Stoff, desto LdL-geeigneter. Ich selbst praktiziere in den Anfangsklassen (Französisch) LdL konsequent und absolut durchgängig. Je höher die Klassenstufe, desto stärker muss ich mich einbringen, denn der Stoff wird immer komplexer und nur ich kann übergreifende Zusammenhänge klar machen. Die reinen Fakten lassen sich nach wie vor von den Schülern nach LdL vorstellen und verarbeiten.

  1. "Wie kann es sein, dass Schüler spielend die Lehrerrolle übernehmen, wenn Referendare eine 2jährige Ausbildung absolvieren, um diese Rolle zu erlernen?"

Die Schüler übernehmen nicht die Lehrerrolle in ihrer Gesamtheit sondern nur einen kleinen Teil davon, nämlich die Präsentation des Stoffes und dessen Einübung. Im Referendariat lernt man darüber hinaus wie langfristige Ziele gesetzt werden, wie man einen interessanten und altersgemäßen Stoff auswählt, wie man unterschiedliche Fertigkeiten schult, wie Schulaufgaben gestaltet und die Leistungen bewertet werden, wie eine Klasse in ihrer Gesamtheit - auch disziplinär - zu führen ist, usw.

  1. "Gegenwärtig werden viele alternativen Unterrichtskonzepte diskutiert, wie die 'Freiarbeit' oder die 'Freinet-Pädagogik'. Welchen Stellenwert nimmt hier LdL ein?"

Das LdL-Konzept an sich vereinigt alle Techniken, die in alternativen Methoden angewandt werden. Dass Tandemarbeit, oder Phasen der Freiarbeit, der Gruppenarbeit oder selbst - wie bei Freinet - Unterrichtsmaterialien von den Schülern produziert werden, ist bei LdL selbstverständlich. LdL ist also ein integratives Konzept. Was LdL von den anderen Ansätzen unterscheidet, ist dass alle Aktivitäten auf das Ziel hin konzipiert werden, dass Schüler das Ergebnis ihrer Anstrengungen didaktisieren und ihren Mitschülern "lehrend" beibringen. Mehr als bei den anderen Ansätzen also wird der Akzent darauf gelegt, dass die Schüler sich mit dem Fach auseinandersetzen und Stoffelemente als Experten den anderen vermitteln. Auf diese Weise gewinnen die freien Aktivitäten eine verpflichtende, fachbezogene Perspektive, die dem ganzen Kohärenz verleihen.

 

Zum Schluss:

 

In der Fachliteratur wird LdL entweder durch Anwender beschrieben (vgl. z.B. Rudolf Kelchner in PRAXIS 2/94, Michael Meyer in PRAXIS 2/97) oder bei der Beschreibung von Unterrichtstechniken erwähnt (wie z.B. durch Ludger Schiffler oder Michael Legutke) aber es wird selten kritisch darauf eingegangen. Vor Kurzem ist ein Artikel von Gerald Schlemminger erschienen, mit dem Titel: "Ganzheitliche Methoden: ihr Stellenwert im Fremdsprachenunterricht", in: Meißner, Franz-Joseph (Hrsg.)(1997): Interaktiver Fremdsprachenunterricht - Wege zu authentischer Kommunikation. Festschrift für Ludger Schiffler zum 60.Geburtstag. Tübingen: Narr, 235 - 251. In diesem Aufsatz wirft Schlemminger - selbst ein herausragender Exponent der Freinet-Bewegung - eine ganze Reihe von sehr wichtigen Fragen auf, die die Diskussion um "alternative" Methoden voranbringen dürften. Aus seinem Artikel habe ich eine Stelle herausgegriffen, auf die ich hier eingehen möchte:

 

"Pädagogisch fragwürdiger wird die Klassen- und Lernsituation, wenn Schüler Teile der Lehrerrolle übernehmen sollen. Ohne sofort an die klassischen Manipulationsmechanismen zu denken, die ein solches Vorgehen hervorrufen können, läßt sich fragen, welche pädagogischen Illusionen der Lehrer damit bei sich und den Schülern aufbaut. Denn welche Kompetenzen werden delegiert? Was bedeutet diese Delegation? Ist sie nur formal oder erhält der Schüler damit auch real den Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Lehrers? Ist diese Kompetenzübertragung verhandlungsfähig? Wo wird sie verhandelt? Nach welchen Kriterien erfolgt diese Übertragung? usw. Ohne eine solide gruppendynamische Erfahrung des Lehrers droht die Lehrer-Schüler-Beziehung, sich von einer objektvermittelten zu einer dualen, tendenziell symbiotischen zu entwickeln." (Schlemminger, op.c., 246)

 

Schlemmingers Bedenken halte ich für berechtigt, weil die LdL-Methode die Gefahr solcher Fehlentwicklungen tatsächlich birgt. Andererseits enthält jede Methode spezifische Gefahren. Wichtig ist, dass man diese erkennt und deshalb sind kritische Auseinandersetzungen mit didaktischen Ansätzen so unabdingbar. Nun zu den Fragen selbst:

 

  • Welche pädagogische Illusionen baut der Lehrer bei sich und bei den Schülern auf?

 

Die Aufgaben, die an die Schüler delegiert werden, sind überschaubar und leicht zu bewältigen, vorausgesetzt, dass ein entsprechendes Training durchgeführt wurde. Im Laufe der Zeit kann immer mehr Verantwortung an die Schüler übertragen werden, wie z.B. die Entscheidung über Sozialformen bei bestimmten Aufgabenstellungen. Aber es bleibt jedem Teilnehmer im Unterricht klar, dass die Gesamtverantwortung in der Hand des Lehrers liegt. Jeder weiss, dass ohne seine Steuerung, der Unterricht zum Scheitern verurteilt wäre. Insofern wird keine Illusion aufgebaut, weder auf Seiten der Schüler, noch auf Seiten des Lehrers. Es findet lediglich eine neue Verteilung der Aufgaben statt, die von der Sache geboten wird und meist unpathetisch verläuft.

 

  • Welche Kompetenzen werden delegiert? Ist die Delegation nur formal oder erhält der Schüler damit auch real den Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Lehrers? Ist diese Kompetenz verhandlungsfähig? Wo wird sie verhandelt?

 

Delegiert werden die Kompetenzen, die auf Grund der methodischen und fachlichen Entwicklung der Schüler in der gerade vorfindlichen Situation delegierbar sind. Der Schüler erhält den Spielraum, den er gerade in der Lage ist, zur Befriedigung aller zu füllen. Verhandelt wird implizit ununterbrochen: die Schüler drängen sich danach, Aufgaben zu bekommen, zu deren Erfüllung sie sich gewachsen fühlen; andere Aufgaben lehnen sie ab. Auch während der Ausführung eines Auftrages wird implizit verhandelt. Konkret sieht es so aus, dass, wenn ein Schüler z.B. Schwierigkeiten hat, vor der Klasse einen Stoff darzustellen, der Lehrer ihm zu Hilfe kommt, oder, wenn es zu umständlich wird, der Lehrer gleich selbst den Stoff zu Ende erklärt. Wenn der Stoff von der Klasse verstanden wurde, gibt der Lehrer die Initiative an den Schüler wieder ab und dieser kann weitermachen, usw. Gelegentlich passiert es, dass der Lehrer selbst bei einer Erklärung passen muss. Dann kommen ihm eben die Schüler spontan zur Hilfe.

 

Die Frage, ob eine "duale, tendenziell symbiotische Beziehung" entsteht, betrifft jede Form von gelungener Zusammenarbeit. Sie stellt sich nicht akuter bei LdL als bei anderen Unterrichtsverfahren, nicht einmal beim lehrerzentrierten Unterricht (wie oft hört man, dass bestimmte Lehrerpersönlichkeiten "verehrt" werden von ihren Schülern). Man kann sogar vermuten, dass bei LdL die Gefahr einer solchen Erscheinung geringer ist, denn bei LdL sind die Schüler sehr stark mit sich und ihren Unterrichtsaktivitäten beschäftigt und haben wenig Zeit und Muße, sich mit der Person des Lehrers zu befassen.

 


http://www.ldl.de/faq/faq.htm