Reflexionen über Fragen der Forschung



Eintrag 4

Jean-Pol Martin (31.10.96)

LdL ist mehr als nur eine Technik unter anderen

Viele Kollegen teilen mir mit, daß sie LdL nicht einfach als eine Technik unter anderen betrachten. Sie sehen in LdL eine Methode, die anthropologisch, ja "ethisch" fundiert ist. Hinter der Methode "steckt" mehr, als es den Anschein hat. Wer sich längere Zeit auf LdL einlässt und die Anfangsschwierigkeiten überwindet, merkt, daß sein Unterricht eine neue Dimension gewinnt. Über das Fach und die mit den Schülern gemeinsam geführte pädagogisch-didaktische Diskussion kommt eine vertrauensvolle, kollegiale Stimmung im Unterricht auf, die im Frontalunterricht nie erreicht wird.

Diskussion in den Schulen und in der Wissenschaft

Es scheint, daß junge Kollegen, z.B. Referendare, die bereits im Studium mit LdL befaßt waren, diese Methode im Unterricht einsetzen, unabhängig vom schulischen Umfeld. Sie empfehlen die Methode weiter, bilden kleine Arbeitskreise und laden Referenten ein, die LdL an ihrer Schule vorstellen. Eine solche Entwicklung wird vom Konzept schulinterner Fortbildungen gefördert, die den Schulleitern bundesweit von den Kultusministerien nahegelegt werden. Es könnte eine Art Methodenstreit in den Schulen und den Seminaren entstehen. Das wäre natürlich förderlich für die Methode, denn eine breite Diskussion würde sie vom Odium des Sektiererischen befreien und sowohl ihre Vorzüge als auch ihre Schwächen offenlegen. Gerne würde ich auch die theoretische Basis des Modells und den von mir vertretenen forschungstheoretischen Ansatz diskutieren. Bisher kommt von seiten der Wissenschaft der - mündlich artikulierte - Vorwurf, meine Arbeit sei theoretisch nicht genügend untermauert, bzw. mein anthropologisches Modell sei reduktionistisch, aber ich habe noch keinen einzigen Aufsatz eines Wissenschaftlers gelesen, der sich überhaupt - sei es nur am Rande - mit LdL befaßt. Bisher hat mir die Wissenschaft ein gewisses Fußnotenleben verliehen, mehr nicht! Ich würde mich sehr freuen, wenn ich die Gelegenheit bekäme, mich zu diesen Vorwürfen zu äußern. Aber dafür müßten diese Einwände auch irgendwo nachlesbar sein!

Intransparenz und Unschärferelationen

Die Entwicklungen in den Schulen, in den Seminaren und Universitäten sind für mich zunächst nur aufgrund von Indizien zu ahnen. Ob die jeweiligen Aktivitäten Einzelfälle darstellen, oder ob es sich um allgemeine Trends handelt, entzieht sich einer präzisen Beobachtung. Bei diesem Projekt mußte ich immer schon mit Unschärferelationen umgehen. Zwar spüre ich, daß sich etwas tut, aber es läßt sich nicht genau ermitteln, wie und wo. Meine Aufgabe sehe ich darin, strukturelle Bedingungen zu schaffen, damit etwas passieren kann. Dazu zählen die Publikationen, die Treffen, die zahlreichen Auftritte meiner Kollegen, meiner Schülerinnen oder von mir selbst. Aufgrund der umfangreichen Feedbacks kann ich mir ein Bild der Lage machen. Aber es ist sehr unscharf. Dies entspricht der Situation des LdL-Lehrers, der nur mit Hilfe seiner Phantasie rekonstruieren kann, welche intellektuellen und emotionalen Prozesse durch die Übertragung von Lehrfunktionen auf seine Schüler ausgelöst werden. Er muß das Vertrauen haben, daß diese Maßnahmen greifen, auch wenn das Ergebnis nicht sofort sichtbar wird. So richten sich meine Aufmerksamkeit und meine Hoffnungen meist auf die Orte, an denen ich gerade aufgetreten bin oder mit denen ich gerade in Verbindung stehe. In jüngster Zeit befasse ich mich innerlich viel mit CHAM, HOF und KEMPTEN, weil ich das Gefühl habe, daß sich dort etwas entwickeln könnte. Gestern habe ich mit MONIKA NEUMANN telephoniert, die in HEIDELBERG an der Pädagogischen Hochschule zwei sehr gut besuchte Seminare über LdL hält; gestern habe ich auch die Bestellung für zwei LdL-Bücher vom Studienseminar HILDESHEIM bekommen. Das sind alles Zeichen, die ich interpretieren kann. Aber ein globales, genaues Bild kann ich mir nicht verschaffen. Das brauche ich allerdings auch nicht.


Fragen und Kommentare: jpm@ldl.de