Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 12


Jean-Pol Martin
01.02.1998

 

Mein jüngster Tagebucheintrag stammt vom 25.01.1998, also vom letzten Sonntag. Darin schilderte ich, dass ich inhaltlich vier Stränge parallel führe, nämlich einen Selbstreflexionsstrang (Selbstporträts für die Klassen-Homepage), einen Geschichtsstrang (Durchzieher von der Entstehung der Erde bis zur Gegenwart), einen Strang mit aktuellen Themen an Hand von "Horizons" und einen Grammatikstrang. Nebenbei versuche ich so etwas wie ein "Menschenkonstrukt" gespeist an den neueren Erkenntnissen der Soziologie und der Psychologie schrittweise zu vermitteln.

Nun habe ich am vergangenen Donnerstag, nachdem wir die Schulaufgabe geschrieben hatten, eine Evaluation meines Unterrichts vornehmen lassen. Alle zwei Monate lasse ich nämlich die Qualität meiner Arbeit von den Schülern bewerten (wie dies wahrscheinlich in der Wirtschaft geschieht). Und das geht so: nachdem die Schüler Kriterien für einen guten Unterricht erstellt haben, bitte ich sie, in Partnerarbeit zu überlegen, was in meinem Unterricht gut bzw. weniger gut sei. Im Anschluss lasse ich den Klassensprecher nach vorne kommen mit der Bitte, die Ergebnisse an die Tafel zu schreiben. In dieser Phase VERLASSE ICH DAS KLASSENZIMMER, damit die Schüler ihre Kritik oder gar ihren Unmut frei äußern können. Natürlich bleibe ich sehr nahe an der Tür, damit ich meine Aufsichtspflicht nicht verletze (oder verletze ich sie doch?). Wenn die Diskussion abgeschlossen ist, rufen mich die Schüler in das Klassenzimmer zurück und der Klassensprecher stellt die an der Tafel festgehaltenen Ergebnisse vor. Auf diese Weise erfahre ich, was gut an meinem Unterricht ist, aber vor allem, was ich verändern muss. Dieses Verfahren wende ich in allen Klassen an - auch letztes Jahr in der 7.Klasse - und bekomme immer sehr wichtige Hinweise. So auch am letzten Donnerstag.

Es hat sich nämlich herausgestellt, dass durch das parallele Führen von 4 Strängen ich überhaupt nicht mein Ziel erreiche, die Wissensbereiche in den Köpfen der Schüler miteinander zu vernetzen. Die Schüler empfinden das Hin- und Herspringen zwischen den Strängen als verwirrend und nicht durchschaubar. Aus der Sicht der Schüler kann man auf diese Weise nie ein Thema vertiefen und es entsteht das Gefühl der Oberflächlichkeit. Mit meinem Vorgehen bewirke ich also genau das Gegenteil von dem, was ich anstrebe, nämlich einen Überblick über alle Bereiche zu verschaffen! Da die Beschreibung der Schüler mir sofort einleuchtete und ich um Vorschläge bat, kam die Empfehlung, längere Blöcke zu bearbeiten. Dass z.B. die Geschichte von vielen als langweilig empfunden wird, liege daran, dass man immer wieder vergesse, was bereits besprochen wurde und daher nie zu übergreifenden Erkenntnissen gelange. Würde man alles in einem Block bearbeiten, könne sich eine vertiefte Reflexion entfalten. Auch sei es besser, wenn man das "Menschenkonstrukt" als Einheit geliefert bekomme, und nicht Schritt für Schritt.

 

Mein Fazit: ich werde nicht mehr die Stränge parallel durchführen, sondern

  • zunächst mein Menschenkonstrukt geschlossen präsentieren (2 Stunden), weil ich es für die Besprechung der Geschichte benötige,

  • dann den geschichtlichen Überblick als Einheit behandeln (2 Wochen); auf den geschichtlichen Durchzieher möchte ich auf keinen Fall verzichten, denn er ist Voraussetzung für das Verständnis der aktuellen Situation in Frankreich, Deutschland und anderswo;

  • auf diesem Hintergrund werde ich die aktuellen Themen Frankreichs angehen können. Der Grammatikstrang läuft nach wie vor parallel.

An dieser Stelle kann ich mich nur bei meinen Schülern für die gute Analyse des Unterrichts und die Verbesserungsvorschläge bedanken.


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