Zusammenfassende Darstellung reformpädagogischer Ansätze im neuen Bildungsplan Realschule BW
Dr. M. Ruep 07.02.95


Der fortgeschriebene Bildungsplan von Baden-Württemberg geht in seinem Ansatz in mehrfacher Hinsicht von der zentralen Stellung des Kindes und Jugendlichen aus.

Die Leitideen in den den Jahrgangsplänen vorausgehenden Texten wie auch in den Jahrgangsplänen selbst stellen den Menschen in den Mittelpunkt aller Überlegungen. Daher läßt sich sagen, daß hier Gedanken aus der Reformpädagogik nicht nur integriert, sondern zugrundegelegt sind. Denn gerade in der Reformpädagogik wurde die Sichtweise vom Kinde her dem Fachwissen bzw. einem materialen Bildungsgedanken innerhalb einer „Paukschule“ entgegengesetzt.

In einer ähnlichen Situation befanden wir uns vor der Lehrplanfortschreibung, als erkennbar war, daß die Veränderung der Welt einen stetigen Wissenszuwachs mit sich brachte. Dieses Wissen in die Schulen stets als anwachsenden „Input“ einzugeben hätte bedeutet, daß Bildung mit „So-viel-wie-möglich-wissen“ gleichgesetzt worden wäre.

Dies kann ein Mensch nicht leisten; vielmehr muß Schule in einer derart sich wandelnden Welt anderes leisten, vom Kind her denken und fragen, was hier getan werden muß, um dieses Kind zum verantwortlich handelnden Erwachsenen zu erziehen, der in dieser mit Wissen vollgestopften Welt zurechtkommt.

Also: Die erste Leitidee der Reformpädagogik war bereits Voraussetzung für die Fortschreibung des Bildungsplans („Wir unterrichten Kinder, nicht Fächer“).

Vorspannpapiere

  • Fächerverbindender, ganzheitlicher Ansatz wird betont, besonders geeignete Themen werden hier genannt; Reduktion von besonders wichtigen Inhalten mit besonderer erzieherischer Bedeutung
  • Betonung von „Selbstfindungsprozeß“ und „Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit“ der Schülerinnen und Schüler innerhalb der „Aufgaben und Ziele“
  • Innerhalb des Abschnitts der „Grundsätze der Unterrichtsgestaltung“ wird die Orientierung am Kind besonders deutlich: Fächerverbindender Unterricht, Formen freien Arbeitens, Epochenunterricht, exemplarisches Lernen, Gruppenarbeit, Projektmethode werden als besonders wertvolle Methoden genannt und Lehrerinnen und Lehrer dazu ermutigt, sie anzuwenden. Außerdem wird die „Gestaltung der Lernumgebung“ angesprochen.
  • Im Bereich der „Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer“ wird die Sichtweise vom Kind her ebenfalls an vielen Stellen deutlich: „Beachtung der Lernvoraussetzungen“ „vertrauensvolle Lernatmosphäre“, „gute personale Beziehungen“, „individuelle Förderung“ werden genannt. Ebenso werden betont die „Beratung der Schülerinnen und Schüler“, die „Vermittlung von Zuversicht“ auch in konfliktträchtigen Phasen, und „außerschulische und außerunterrichtliche Unternehmungen“.
  • der neu aufgenommene Abschnitt „Zusammenarbeit der Schule mit Eltern und außerschulischen Einrichtungen“ zeigt besonders deutlich eine neue Gewichtung von einer Schule in Kooperation mit den Eltern und in Anbindung an das gesellschaftliche Umfeld. Das schulische Leben wird hervorgehoben und damit in seiner Gemeinschaftlichkeit betont. „Feste und Feiern“, der „musisch-kreative Bereich“ , „Pflege von Chor und Orchester“ „Förderverein“, berufliche Orientierung oder Partnerschaften zeigen auf, daß Schule als lebendiger Organismus verstanden wird.
  • alle Fachpapiere zeigen gerade im Bereich der Lernmethoden die Orientierung an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen, an Ganzheitlichkeit und einer Bildungsvorstellung, die die personale Ebene betont.
  • die Gliederung in Jahrgangsstufen mit den pädagogischen Leitgedanken trägt dem Gedanken Rechnung, daß nicht in vereinzelten Fachstrukturen gedacht werden soll, sondern daß vielmehr die Vernetzung der Inhalte dem Kind eher gerecht wird. Gerade die „Pädagogischen Leitgedanken“ enthalten eine Fülle von reformpädagogischen Gedanken. Immer wieder wird verwiesen auf die Situation der Kinder und Jugendlichen in der jeweiligen Entwicklungssituation, auf kindgemäße Methoden einschließlich offener Unterrichtsformen wie Projekt- und Freiarbeit sowie Gruppenarbeitsformen. Die Verbindung von inhaltlicher, methodischer und sozialer Kompetenz als Handlungsfähigkeit ist ein hier stets wiederkehrender Grundansatz, der Schlüsselqualifikationen entstehen lassen soll.
  • im Rahmen der fächerverbindenden Themen wird dem Ansatz vernetzenden Denkens in ganz besonderer Weise Rechnung getragen. Hier soll die Teamarbeit der Lehrerinnen und Lehrer zu einer für Schülerinnen und Schüler verbesserten Unterrichts- und Schulsituation führen. Außerdem wird häufig auf veränderte, schülerorientierte Methoden hingewiesen, die verstärkt eingesetzt werden sollen.
  • die einzelnen Fachlehrpläne enthalten eine Fülle von Hinweisen und Anregungen für eine veränderte methodische Aufbereitung von Unterrichtsinhalten. So enthalten z.B. die sprachlichen Fächer Aussagen über Lern- und Arbeitstechniken bzw. enthalten solche Techniken als verbindliche Inhalte.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der Ansatz des Bildungsplans vom Kinde aus die zentrale Fortschreibungsleistung ist. Daß dabei auch Inhalte weggelassen oder neue hinzugefügt wurden, ergibt sich aus Veränderungen, die aber gerade wieder auf das Kind bezogen reflektiert wurden. Damit ist der Bildungsplan eine „reformpädagogische“ Veränderung bzw. Entwicklung, die die Möglichkeit bietet, Schule von innen heraus freiheitlich zu gestalten, indem Freiräume durch diesen Plan eröffnet werden, ohne daß dabei aber die staatliche Schulhoheit über Bord geworfen wird. Nicht zuletzt dadurch wird aber dann doch auch eine leistungsorientierte moderne Schule gewährleistet.

Somit haben wir in BW eine Ausgewogenheit zwischen einem vorgegebenen Rahmen und freiheitlichen Möglichkeiten innerhalb der einzelnen Schulen, die Gestaltungsmöglichkeiten vielfältiger Art zulassen, Impulse dafür geben und zu schulinternen Reformen auffordern.


Dr. Margret Ruep, Stiftstr. 20, Kraichgau-Realschule, 74889 Sinsheim