Handlungsfelder in der Schule auf der Grundlage des fortgeschriebenen Bildungsplans in Baden-Württemberg

Die Arbeit mit dem fortgeschriebenen Bildungsplan erfordert Überlegungen dazu, welche Leitgedanken für das zugrundeliegende pädagogische Konzept an den Schulen gelten können. Um an einer Schule zu einem pädagogischen Konsens zu gelangen, sind dem schulischen Auftrag gemäß die Grundzüge des pädagogischen Ansatzes der Schule selbst zu reflektieren. Der Bildungsplan als Ergebnis einer demokratischen, politisch-gesellschaftlichen Auseinandersetzung gibt bereits vor, welche Art Schule, welches Bild vom Menschen, welche Werte und pädagogischen Schwerpunkte diese demokratische Gemeinschaft realisieren möchte.

Es ergeben sich aus meiner Sicht für die Schulen vier Handlungsfelder:

  • Unterricht
  • Erziehung
  • Verwaltung
  • Kommunikation

Mit Blick auf den Bildungsplan lassen sich hieraus Handlungskriterien ableiten, die als Orientierung für die schulische Arbeit gelten können und sollen:

  • Fördern durch Fordern - Fordern statt verwöhnen (Unterricht)
  • „Erziehung ist Vorbild und Liebe“ (Erziehung)
  • Im Dienste der Menschen (Verwaltung)
  • Reversibilität als Umkehrbarkeit von Sprache und Verhalten (Kommunikation)

Die Handlungsfelder sind in der Praxis des Schulalltags nicht voneinander zu trennen, sondern überlappen sich oder greifen ineinander. Unterricht ist die Hauptaufgabe der Schule. Erziehung vollzieht sich an einer Schule innerhalb und außerhalb des Unterrichts. Verwaltungsarbeit umfaßt die Schule als Ganzes in allen Bereichen, wobei die zunehmende Verrechtlichung aller Lebensbereiche auch die Schule gerade im Verwaltungsbereich trifft. Kommunikation findet in allen anderen Bereichen statt, ist also ein integratives Handlungsfeld.

Zum Ersten: Unterricht

Der Satz „Fördern durch Fordern“ bzw. „Fordern statt verwöhnen“ betrifft Schule als Institution, in der gearbeitet, gelernt und etwas geleistet wird.

Entgegen der traditionellen Vorstellung von bloßem „Wissen vermitteln“ sind Lehrerinnen und Lehrer aufgefordert, Lernprozesse in Gang zu setzen, zu steuern, zu beobachten und zu bewerten. Der Schwerpunkt ist verlagert weg vom Stoff bzw. Wissen und vom Lehrer als Vermittler hin zum Kind. Lerninhalte werden angeboten mit dem Ziel, daß Kinder und Jugendliche daran arbeiten, daß sie sich aktiv damit auseinandersetzen.

Der Lernprozeß selbst wird Gegenstand des Unterrichts.

Das „Vermitteln“ von Inhalten hat nach wie vor seinen Stellenwert, wird aber ergänzt und vertieft durch die Gewichtung von zunehmender Selbsttätigkeit, Selbständigkeit und Reflexion des eigenen Lernvorgangs auf seiten der Schülerinnen und Schüler.

Damit fordern wir von ihnen ein Mehr an Leistung, nämlich nicht nur die Aneignung von Wissen; vielmehr sollen sie das Lernen selbst lernen, d.h. die Reflexion des eigenen Lernvorgangs sowie die Anwendung vielfältiger Lern- und Arbeitstechniken. Schließlich gehört dazu die zunehmend selbständige Planung und Organisation des Lernprozesses. Die Methoden werden somit auch zum „Lernstoff“. Die Erwartung, daß Schülerinnen und Schüler nicht nur allein, sondern auch mit anderen zusammen im Team arbeiten, ist dabei mit eingeschlossen.

Daß wir dies an den Schulen auf dem jeweils jeder Schulart gemäßen höchsten Niveau einfordern, ist im besten Sinne human; denn die Schülerinnen und Schüler sollen zu ihren besten Möglichkeiten hingeführt werden.

„Fördern durch Fordern“ erweist sich somit als pädagogische, durch den Bildungsplan aufgegebene Pflicht. Es ist ein Grundkonsens, der sich durch das vorgegebene pädagogische Konzept ergibt. Somit machen wir dies als Leitlinie geltend für den Teil von Schule, den wir als Bildung im Rahmen von Unterricht bezeichnen.

Zum Zweiten: Erziehung

Ergänzend zum Unterricht, durch ihn selbst mit transportiert, aber über ihn hinausgehend, spielt Erziehung in der Schule eine zunehmend wichtige Rolle. Das Konzept eine „Erziehenden Unterrichts“ denkt Erziehung stets als auch dem Unterricht selbst zugehörig. Erziehung zielt über das bloße Vermitteln von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten, über das In-Gang-Setzen von Lernprozessen stets hinaus auf die Person bzw. Persönlichkeit des einzelnen Kindes oder Jugendlichen. Somit ist Erziehung mehr als etwa bloß pragmatisch verstandener Unterricht. Sie schließt die Orientierung an Werten mit ein; hinzu kommt, daß sich hier das gemeinsame Interesse von Schule und Elternhaus trifft.

Der Bildungsplan zeigt die Ziele, zu denen hin erzogen werden soll. Die dabei vorliegende Ausgangsposition des Grundgesetzes und der Landesverfassung setzt die zugrundeliegende Wertorientierung fest: Der Mensch in seiner personalen Würde soll zum mündigen, verantwortlich handelnden erzogen werden.

Dies läßt als Leitlinie und Konsens nur die Haltung zu, die Pestalozzi mit dem Wort „Erziehung ist Vorbild und Liebe“ zum Ausdruck brachte. Die Orientierung am Menschen in der vorgegebenen Weise erfordert die Haltung des pädagogischen „eros“ und somit die Liebe zu den Menschen, für deren Erziehung wir in den Schulen die Verantwortung übernehmen. Was immer wir von unseren Kindern und Jugendlichen erwarten, müssen wir dann auch bereit sein vorzuleben. Dazu gehören Primärtugenden wie etwa Gerechtigkeit, Güte, Aufrichtigkeit, Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme oder Mut ebenso wie die Sekundärtugenden Pünktlichkeit, Ordnungssinn, Sauberkeit u.a.m.

Erziehung in diesem Sinn ist nicht durch Worte leistbar wie „du mußt“, „du sollst“, „du darfst nicht“ usw.; jedenfalls treffen Worte wie auch „Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen“, etwa Klassenbucheinträge oder Schulausschlüsse, den äußeren Ordnungsrahmen, nicht unbedingt aber auch die innere Überzeugung. Letzteres kann nur durch überzeugendes Vorleben geleistet werden. Daß dies ein anstrengender und langwieriger Prozeß ist, liegt im übrigen auf der Hand.

Zum Dritten: Verwaltung

Schule ist Teil der staatlichen Verwaltung und erfüllt somit hoheitliche Aufgaben. Auf diese Weise wird das Recht auf Bildung für alle gewährleistet.

Die Organisation von Schule, ausgehend von Schulstandorten über die Schulgrößen bis hin zu detaillierter Schul- und Unterrichtsorganisation erfordert eine klare gesetzliche Grundlage, entsprechende Ausführungsbestimmungen und die unmittelbare Organisation der jeweils einzelnen Schule. Dies alles geschieht im Exekutivbereich durch Verwaltungsakte, die im Bereich der Schulen vor Ort einen erheblichen Arbeitsaufwand ausmachen. Das Spektrum reicht von der exakten Erfassung von Daten, deren Verarbeitung und Speicherung über die Führung von Klassenbüchern und Notenlisten bis hin zur Erstellung von Zeugnissen, Lehrerbeurteilungen, die Erarbeitung von Plänen aller Art und die Durchführung von Abschlußprüfungen.

Einerseits ist Präzision in diesen Bereichen in besonderem Maße erforderlich, andererseits können starre Verwaltungssysteme mit bis in Einzelheiten reglementierenden Vorgaben, Durchführungsbestimmungen und Anweisungen gerade hier die eigentlich pädagogische Aufgabe konterkarieren.

Die Verwaltung und alle damit verbundenen Maßnahmen müssen in den Dienst der Menschen gestellt sein. Unterrichtliche und erzieherische Arbeit erfordert Freiräume, die nicht durch strukturell-organisatorische Gängelung beeinträchtigt werden darf. Demzufolge hat Verwaltung dienende Funktion, ist quasi ein fester Rahmen, dessen Konstruktion transparent und einsichtig sein muß. Innerhalb des Rahmens müssen Reglementierungen so gering wie möglich gehalten werden.

Das heißt für Unterricht und Erziehung: Optimale Organisation, sichtbar in der Ausstattung der Schule, in der Zusammensetzung von Klassen, bei der Lehrerverteilung, in der Ablaufplanung von Schuljahren sowie in Stundenplänen. Es betrifft auch die Bereitstellung von Freiräumen für kreative pädagogische Arbeit, das Zulassen und Unterstützen neuer Ideen sowie die Ermutigung zu ihrer Erprobung.

Im kommunikativen Bereich bedeutet das Transparenz, Offenheit, Delegation, effektive Konferenzen, Einbeziehung der Schüler- und Elternschaft in die Entscheidungen sowie Öffnung der Schule nach außen.

Zum Vierten: Kommunikation

Gerade hier wird deutlich, daß die beschriebenen Handlungsfelder im Schulalltag nicht voneinander zu trennen sind, sondern stets ganzheitlich ineinander greifen.

Im Unterrichts- und Erziehungsprozeß sowie innerhalb des über den Unterricht hinausgehenden schulischen Lebens findet Kommunikation statt. Die Forderung nach Reversibilität, d.h. nach Umkehrbarkeit von Sprache und Verhalten, ist gemäß des vorgegebenen Ansatzes eines „Erziehenden Unterrichts“ zwingend.

Auch wenn im täglichen Umgang miteinander Lehrerinnen und Lehrer ein mehr an Wissen und Erfahrung haben, ist auf der personalen Ebene reversibles Verhalten möglich und gemäß der Erziehungsziele auch notwendig.

Das heißt konkret:

Im Unterricht werden notwendige Regelungen offengelegt und diskutiert.

Die Notengebung oder die Anforderungen im Rahmen von Hausaufgaben und Klassenarbeiten werden begründet und sind damit frei von Willkür.

Für einen geordneten Ablauf des Schulalltags gelten Regeln, die eingehalten werden müssen; dazu werden Absprachen getroffen, die für Schülerinnen und Schüler einsichtig sind. Das gilt z.B. ganz besonders für die Anwendung der „Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen“.

Schul- und Hausordnungen etwa müssen deshalb in regelmäßigen Abständen auf ihre Aktualität und Akzeptanz hin überprüft und gegebenenfalls fortgeschrieben werden.

Auch die Kommunikation mit der Elternschaft wird reversibel akzentuiert. Die Eltern kommen nicht etwa als Bittsteller in eine Schule, die alles besser weiß, sondern als Partner mit dem berechtigten Interesse nach genauer Information, Mitsprache und Mitverantwortung.

Dafür ist die Gesprächsbereitschaft von seiten der Schule offenzuhalten und zu erweitern. Ein wesentlicher Gesichtspunkt im kommunikativen Bereich ist die der Gesprächs- und Arbeitskultur zwischen Schulleitung und Lehrerschaft. Sie muß geprägt sein von einem dialogischen Miteinander. Nicht etwa eine eindimensionale Anweisungshaltung, sondern eine ganzheitlich zu verstehende Verantwortungshaltung aller Beteiligten ist erforderlich.

Die Mitverantwortung der Schülerinnen und Schüler für den gesamten Schulbetrieb spielt auf der Grundlage dieses Ansatzes eine besondere Rolle.

Auch hier ist das Einfordern der Mit-Verantwortung in allen schulischen Bereichen eine personale Förderung der jüngeren Generation.

Der kommunikative Aspekt im Bereich der Verwaltung weist auf eine optimale Interaktion zwischen allen Verwaltungsebenen hin. Dies bedeutet Offenheit und Transparenz im Übergang von legislativen Entscheidungen zu ausführenden Verwaltungsbestimmungen. M.E. muß bei allen an Schule Beteiligten ein Bewußtsein eintwickelt werden für Verwaltungsabläufe, die aus politischen Entscheidungsprozessen hervorgehen und somit Ausdruck eines demokratischen Willens sind. Sie sind als Regelkreissysteme vorstellbar, bei denen diejenigen, die von Verwaltungsakten an der schulischen Basis betroffen sind, als Staatsbürger wiederum den Kreislauf und dessen Weiterentwicklung durch demokratische Willensbildung und daraus resultierende Entscheidungen im Bereich der Legislative beeinflussen können. Daß hierzu kommunikative Kompetenz zwischen allen Ebenen der Verwaltung sowie zwischen Legislative und Exekutive zwingend notwendig ist, wird offensichtlich.

Die Komplexität des Systems erschwert oftmals eine direkte Kommunikation, die viel eher stattfindet durch das jeweilige Medium eines Gesetzestextes, eines Erlasses oder einer Verwaltungsbestimmung. Dadurch erscheint die Kommunikation hier oft einkanalig und nicht transparent, ohne die Möglichkeit einer echten Interaktion. Verständnis für Verwaltungsabläufe ist zudem mit hohem Zeit- und Arbeitsaufwand verbunden.

Der unmittelbare Austausch zwischen den Ebenen ist der Konzeption des Bildungsplans in seinen Grundsätzen und Zielen gemäß und deshalb erstrebenswert. Dies ist in erster Linie eine Frage des Verstehens und der Reflexion der beschriebenen Abläufe, vor allem auf der Ebene der Schulen vor Ort.

Deshalb ist die Stärkung der kommunikativen Kompetenz als vernetzende, integrative Fähigkeit für komplexe Systeme innerhalb der Demokratie von grundlegender Bedeutung. Sie muß in den Schulen als Weg wie auch als Ziel verstanden und beständig eingeübt werden.


Zusammenfassend läßt sich sagen, daß der ganzheitliche Ansatz des Bildungsplans auch eine ganzheitliche Arbeit in der Schule erfordert. Die genannten Handlungsfelder in Verbindung mit den vorgeschlagenen Leitlinien, die sich aus dem Bildungsplan als gesellschaftlichem Grundkonsens im Schulbereich ergeben, setzen Impulse, die als Chancen für die Entwicklung einer je eigenen Schulkultur gelten können.

Im besten Fall - auch mit Rücksicht auf eine Vielfalt von Meinungen und Verhaltensweisen - kann bei Übereinstimmung mit der pädagogischen Grundstruktur des Bildungsplans Demokratie in der Schule nicht nur „vermittelt“, sondern gelebt werden.


Dr. Margret Ruep, Stiftstr. 20, Kraichgau-Realschule, 74889 Sinsheim