Reflexionen über meinen Unterricht in der 11. Klasse

Eintrag 10


Jean-Pol Martin
21.11.97

Meine 11. Klasse führe ich seit nun zwei Monaten.

1. Zur Lage des Fachs Französisch in der 11. Jahrgangsstufe im mathematisch-naturwissenschaftlichen Zweig

Das spezifische Problem des Fachs Französisch in den 11. Jahrgangsstufen ist, dass die meisten Schüler am Ende des Jahres Französisch ablegen. Daher beklagen viele Kollegen einen Mangel an Motivation. Auch in meiner Klasse haben die meisten Schüler nicht vor, dieses Fach weiterzuführen. Das liegt hauptsächlich daran, dass für naturwissenschaftlich orientierte junge Menschen Französisch keine besondere Zukunftsperspektive zu eröffnen scheint.

Gerade wegen dieser ungünstigen Voraussetzung stellt der Französischunterricht in der 11.Klasse eine besondere Herausforderung dar, die mich reizt. Immerhin verfügt man über 4 Wochenstunden, die sinnvoll genutzt werden sollen. Damit die Schüler ihre Motivation aufrechterhalten, müssen sie das Gefühl bekommen, dass sie von den Französischstunden profitieren, und zwar nicht nur im Hinblick auf das Fach, sondern für ihre ganze Persönlichkeit und ihre Zukunft.

Das bedeutet, dass ich einen klaren, straffen Unterricht führen und für die Schüler relevante Inhalte anbieten muss.

2. Ziele

Als inhaltliche Orientierung für das ganze Jahr versuche ich, eine Reflexion der Schüler über sich selbst und über ihre berufliche Zukunft anzuregen.

  • Zu Beginn des Jahres habe ich die Schüler gebeten, sich selbst ausführlich zu beschreiben. Daraus ist ein Klassenporträt entstanden, das kontinuierlich ergänzt wird und in die LdL-Homepage eingegeben wird.
  • In dem Lehrbuch "Horizons" behandle ich die Texte, die sich mit der Arbeitswelt von morgen befassen (Veränderung der Arbeitswelt durch neue Kommunikationsmittel, neue Berufe usw.). Gleichzeitig werden die Schüler dazu angeregt, sich mit ihren Interessen und Begabungen im Hinblick auf die Welt von morgen zu befassen ("Welche Berufe scheinen dir - angesichts deiner Begabungen und Interessen - besonders reizvoll bzw. welche findest du für dich indiskutabel?".)

Dadurch wird ein dialektischer, fortschreitender Prozess von Selbstreflexion und Zukunftsantizipation eingeleitet, bei dem sich die Schüler ein immer klareres Bild über ihre eigenen Begabungen und Neigungen und die von der Gesellschaft erwarteten Fähigkeiten verschaffen.

Ferner wird eine Bestandsaufnahme der Qualifikationen vorgenommen, die grundsätzlich in der Arbeitswelt verlangt werden. Dabei gelangt man zu einer ersten Zielvorgabe: gegenwärtig wird die Forderung nach Schlüsselqualifikationen erhoben. Wenn Schlüsselqualifikationen in der Welt von morgen verlangt werden, wie kann ich als Französischlehrer zum Aufbau entsprechender Fähigkeiten beitragen? Die Antwort für den Französischunterricht lautet: durch entsprechende Inhalte und durch entsprechende Methoden.

 

3. Inhalte und Methode

a) Inhalte

Zu den Inhalten gehört die oben beschriebene Reflexion über die eigene Identität und über die Erfordernisse der beruflichen Welt von morgen. Konkretisiert wird dies im Zusammenhang mit der Behandlung fachspezifischer Inhalte:

- Grammatik

Am Anfang des Jahres haben die Schüler eine Wiederholung der Grammatik gewünscht. Dies wird also systematisch getan, mit entsprechenden Übungen aus einer anspruchsvollen Sammlung (Confais). Gegenwärtig sind wir bei der indirekten Rede. In der Schulaufgabe wird ein Grammatikblock verlangt.

- Landeskunde

Es werden behandelt: die Geschichte Frankreichs (gegenwärtig Durchzieher vom Mittelalter bis zur Gegenwart an Hand von Geschichtsbüchern für junge Franzosen); die verschiedenen Regionen Frankreichs; Aktuelle Themen; Planung und Durchführung einer Frankreichreise.

b) Methode

Grundsätzlich wird in diesem Schuljahr die Reflexion auf der Metaebene kontinuierlich gepflegt. So werden die Schüler nicht nur angeregt, über ihre Person Klarheit zu gewinnen, sondern auch über die Art und Weise, wie sie am besten Lernen. Methodisch wird über den systematischen Einsatz von LdL hinaus der Akzent auf eine fortwährende Beteiligung der Schüler an der Methodenreflexion gelegt. Es werden weitere Techniken für den Unterricht entwickelt. Maßstab ist, dass die Effektivität des Lernprozesses durch die jeweilige Technik optimiert wird.

4. Erste Schüler-Feed-Backs

Es scheint, dass der Unterricht den Schülern Spaß macht ("Es ist interessant/Es vergeht wie im Flug"!). Allerdings musste ich einem Missverständnis begegnen. Vor einigen Tagen sagte mir eine Schülerin folgendes (dem Sinn nach):

"Als wir gehört haben, dass wir Sie bekommen, haben wir gedacht, dass wir die ganze Zeit spielen werden, viel reden und dabei Französisch lernen. Deshalb war es ein ziemlicher Schock, als wir gemerkt haben, dass es gar nicht so locker ist, sondern dass wir viel arbeiten müssen, zu Hause auch. Das war also eine falsche Vorstellung. Dieses Jahr ist Französisch eines der stressigsten Fächer. Ich freue mich zwar total drauf, das macht Spaß, aber das ist viel Arbeit!!"

Das Gefühl, dass sie viel tun müssen, kommt daher, dass ich nach jeder Stunde eine Hausaufgabe aufgebe (Arbeitszeit für die Schüler etwa 30 Minuten), diese in der folgenden Stunde einsammle und zu Hause korrigiere. Daher sind die Schüler praktisch gezwungen, die Hausaufgaben sorgfältig anzufertigen. Die Gewissheit, dass auch schriftlich gearbeitet wird, erlaubt mir, die Unterrichtsstunden selbst von langweiliger Schreibarbeit freizuhalten und mit interessanten Inhalten zu füllen. Dabei kann selbst die Korrektur von Grammatikübungen spannend sein, sofern sie von Schülern durchgeführt wird und Schlüsselqualifikationen bewusst aufgebaut werden.

Tendenziell besteht die Gefahr, dass die Schüler sich vom Französischunterricht überfordert fühlen: "Meinen Sie, dass wir nur Französisch haben?" Hier muss ich sensibel vorgehen und ein Überhitzen vermeiden!


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